Vellum: Roman (German Edition)
Er hat Finnan den Rücken zugewandt und spricht leise über Link mit einem abwesenden Befehlsempfänger oder Vorgesetzten, eine Hand auf den Knopfhörer gedrückt. Seamus versteht nur ein paar Satzfetzen – machen Fortschritte, psychisch stabil, ja, nein, MacChuill, im Auge behalten, ich kann Ihnen versichern, vielleicht sollten Sie, auf ihn nicht verlassen, unter Kontrolle. So wie er dasteht und spricht, wirkt er irgendwie nervös, denkt Finnan.
»Sind Sie sicher?«, hört er ihn sagen, langsam und deutlich, als wolle er selbst von einer Sache überzeugt werden. »Diese ... diese Sache mit den Bitläusen hat auf uns hier keine Auswirkungen?«
Er schaut über die Schulter, und Finnan senkt den Blick, murmelt etwas wie ein Mann im Delirium. Henderson wendet sich wieder ab.
»In Ordnung. Jawohl, Sir«, sagt er. »Ich denke, wir haben ihn so weit, Sie können kommen.«
Metatron, denkt Finnan. Wenn der Konvent dahintersteckt – und Henderson riecht so sehr nach Konvent, dass einem übel werden könnte –, dann muss es Metatron sein, der hier die Fäden in der Hand hält. Soweit er weiß, sind alle anderen großen Kaliber in den Krieg verwickelt. Engel, die mit Flammenschwertern durch Jerusalem schreiten. Ein Lager der Auserwählten in Falludscha, das von einer Explosion vernichtet wurde. Ein Atomunfall in Nordkorea. Der Krieg der Engel ist kein Krieg, bei dem sich zwei Armeen auf einem Schlachtfeld gegenüberstehen. Nein, bei diesem Konflikt spricht ein Berichterstatter in einer beigefarbenen kugelsicheren Weste und mit einem Gefechtshelm direkt in die Kamera – und Finnan hatte schlucken müssen, als er dem Mann in die Augen blickte und in seinen schwarzen stecknadelkopfgroßen Pupillen das Mal der Unkin entdeckte, denn sogar auf dem verschwommenen Bild eines Links, dessen Signal von den Sendern der Extremisten gestört wurde, konnte Finnan den Namen in dem glasigen Blick lesen. Azazel, Engel des Todes. Himmel, der Flattermann starrte sein VR-Publikum völlig gelassen an und zeigte der Welt seine Seele mit voller Absicht, sodass jeder dort draußen, der in der Lage war, sie zu lesen, jeder Unkin dort draußen, Konvent oder nicht, die Botschaft verstand. Wir sind jetzt an der Macht.
Es ist recht offensichtlich, was Gabriel und Michael und Azazel und ihre Lakaien – all die kleinen Hendersons – vorhaben. Sie jagen Auserwählte. Aber im Unterschied zu ihnen ist Metatron kein Außendienstler. Er sammelt Informationen und analysiert sie. Er schickt Bitläuse auf die Pirsch. Das ist seine Aufgabe. Finnan blickt auf seinen offenen Brustkorb hinab und fragt sich, warum sie ihm diese Erholungspause gönnen, die Gelegenheit, einen klaren Kopf zu bekommen.
»O weh, das Schicksal einer Maid«, flüstern die Bitläuse. »Ach, Anna tut uns leid. Wären wir aus Fleisch und Blut, dann würden wir darum beten, dass unsere Parzen uns nie einen Ehemann aus dem Himmel aussuchen möchten, dass sie nie mit ansähen, wie wir das Bett mit einem Herzog teilten.«
Wieder diese mitfühlenden Worte. Klar doch, und mit ein wenig Übung könnten sie es fast schaffen, einen Turing-Test zu bestehen. Aber auf ihre Scheißkrokodilstränen fällt er keine Sekunde lang herein. Er ist bereit zuzugeben, dass Metatrons kleine Maschinen vielleicht sogar raffiniert genug sind, um so etwas wie ... Neugier zu entwickeln. Aber Mitgefühl? Nein, denkt er. Das gehört alles zu Metatrons Plan. Sie sollen ihn langsam auseinandernehmen, ihn zerlegen und ihn weich klopfen. Anna ist nur eine weitere Wunde, die sie wieder öffnen wollen.
»Eure Tränen und Ängste sind verfrüht«, sagt er. »Wartet, bis ihr alles gehört habt.«
»Wir hören«, sagen sie.
»Warum wollt ihr das wissen? Warum sollte ich euch irgendetwas erzählen?«
»Dem Kranken ist wohler, kennt er das Leid, das ihn erwartet.«
Anscheinend haben die kleinen Bastarde von den Unkin gelernt, nie eine direkte Antwort zu geben, denkt er. Sie sprechen in Rätseln. Verraten nie zu viel. Damit der Feind nichts in der Hand hat, was er gegen sie verwenden könnte.
»Unseren letzten Wunsch hast du uns mühelos erfüllt«, sagen sie. »Denn wir baten darum, dass sie uns von ihrer eignen Not erzähle. Jetzt wollen wir das Übrige erfahren, welches Leid diese junge Frau noch erdulden muss.«
»Anna? Was geht euch meine Vergangenheit an? Was vorbei ist, ist vorbei.«
»Die Zeit im Vellum birgt so manches Rätsel.«
Dieser Satz löst eine Erinnerung an etwas aus, das jemand
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