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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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er die Schichten immer wieder aufgefrischt, so oft er sich Farbe leisten konnte, aber mit der Zeit hatte das Ding einen immer größeren Teil des Hanges eingenommen, immer mehr Farbe wurde nötig, sodass es Mac schließlich sehr schwer fiel, dem witterungsbedingten Verschleiß in New Mexico etwas entgegenzusetzen. Dann schlug jemand vor, auch Lehm zu verwenden, und die Arbeit am Jesus Hill nahm völlig neue Ausmaße an. Als Phrees Familie schließlich eintraf, um ihren ersten Winter in Slab City zu verbringen, war der Hügel zu einer bleibenden Adobeskulptur geworden, ein Meisterwerk christlichen Kitsches in Großformat.
     
    Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie Macs Werk im Laufe der warmen Winter ihrer Kindheit immer weiter wuchs; Bibelsprüche in sechs Meter großen Buchstaben künden von Liebe und Heil. Trotz ihrer neoheidnischen Erziehung kehrte sie im Herbst immer gerne hierher zurück, nach einem Sommer, den sie in der Gegend der kühlen Great Lakes oben in Kanada zugebracht hatten, und irgendwie stimmte es sie meist traurig, wenn sie im Frühling weiterziehen mussten, im Gefolge der anderen Familien auf Rädern – Schneevögel, die der drohenden Hitze des Sommers in der Mojave entfliehen. Zwischen Mai und September gehört Slab City ganz den echten Wüstenratten, Sesshaften wie Mac oder Finnan, denen – darüber sind sich alle einig – längst auch das letzte bisschen Verstand aus dem Schädel verdunstet war.
     
    »Ach, übrigens«, sagt sie. »Mom hat drüben in Santa Fe etwas Farbe besorgt; irgendein Typ, für den sie irgendwelche Gelegenheitsarbeiten erledigt hat, hatte sie rumstehen. Sie lässt fragen, ob Sie sie gebrauchen können.«
    »Klar doch«, sagt Mac. »Was für eine Farbe denn?«
    »Eierschale ... kotzgelb, für den Hügel ideal.«
    Mac lacht.
    »Ich bring sie rüber, bevor wir aufbrechen. Vielleicht haben Sie ein riesiges ›Jesus liebt euch‹ fertig, bis wir zurück sind. Richtig geschmackvoll, Sie wissen schon.«
    »So jung und schon so zynisch«, sagt Mac. »Im Kitsch liegt Wahrheit, denk dran. Der Herr liebt eine Madonna, die im Dunkeln leuchtet, ebenso sehr wie die größte Kathedrale – verdammt, sogar mehr, wenn sie einem seiner verlorenen Schafe mehr bedeutet.«
    »Mäh«, macht sie.
     
     
    Ein herzförmiges Fenster
     
    Mit Mac streitet man sich nicht über Theologie, denkt sie. Er ist ein zu netter Kerl, ihm sollte man nicht das Gefühl für die große Wirkung der kleinen Dinge rauben. Er spinnt, so viel ist sicher, aber fünfzig Prozent der Einwohner eines Trailer-Parks im Allgemeinen und fünfundsiebzig Prozent von Slab City im Besonderen sind zumindest ein wenig exzentrisch, wenn nicht sogar völlig unzurechnungsfähig. Ihr eigener Vater, zum Beispiel, möchte eine Karte von Atlantis erstellen – indem er versucht, sich mit Hilfe von Regressionshypnose auf die mentale Datenbank seiner ersten Inkarnation Zugriff zu verschaffen. Und ihr derzeitiger Nachbar, Herr Willis, ist der Meinung, dass sie gemeinsam NASA-Schrott aufkaufen und den Mars als autonomes Kollektiv besiedeln sollten. Immerhin hat er schon einen eigenen Raumanzug. Oben in den Parks in der Gegend des Lake Superior gibt es eine Menge Leute, die ausgesprochen nachsichtig gegenüber solchen Bizarrerien sind, aber deren gönnerhafte Haltung war Phree schon immer zuwider. Klar, sie hält Mac und Herrn Willis für völlig meschugge, aber sie respektiert sie dafür. Und ebenso ist es ihr zuwider, wie ein kleines Mädchen behandelt zu werden, und ihr ist es zuwider, wie herablassend einige der Mittelstandsnomaden mit Leuten reden, die sie als ihre Freunde betrachtet.
    »He«, sagt Mac. »Er kommt hierher.«
     
    Der Rastaengel schreitet langsam den Jesus Hill herab, umrundet LOVE und klettert über das blutende Herz Jesu; BETRACHTET DIE LILIEN bekommt unter seinen Stiefeln Risse, und auf DAS LICHT DER WELT streift er den Dreck ab. Sie wartet mit Mac am Fuß des Hügels; sie steht vor seinem Wohngefährt und versucht, gelangweilt zu wirken, indem sie nach dem trockenen Gras unter ihren Füßen tritt; Mac – aus dem herzförmigen Fenster seines mit Schrott zu einer Art Hütte umgebauten Schulbusses gelehnt – kratzt sich die grauen Stoppeln. Der Schwarze springt die letzten anderthalb Meter und landet ihr fast auf den Füßen.
    »Dürfte ich Sie um etwas Wasser bitten?«, fragt er, den Blick erst auf Mac, dann auf sie gerichtet.
    Der Scheißkerl ist verdammt groß.
     
    »Ich ... ich hatte eine Panne auf

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