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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Taschen ihrer übergroßen Motorradjacke – ein Erbstück von Tom, hat er ihr gegeben, bevor er sich davonmachte, um ... sie weiß nicht genau was zu suchen ... sein Glück, vermutet sie. Ein Stück weit nimmt sie ihm das immer noch übel, aber ... Aber er hat ihr seine Jacke hinterlassen, und Phree versucht sie so lässig zu tragen wie er.
    Und so steht sie da und versucht, dem Blick eines Engels so lange standzuhalten, bis er wegschaut.
     
    »Nun, dein Freund Finnan würde es wahrscheinlich meine ... Prägung nennen«, sagt er.
    Er wirft das Wort aus wie eine Angelschnur, um zu sehen, ob sie anbeißt. Sie wendet den Blick ab, betrachtet einen Hund, der ausgestreckt auf einer baufälligen Veranda vor einem Wohnwagen in der Nähe liegt. Ohne den Kopf zu heben, blickt er zu ihnen herüber, wedelt mit dem Schwanz, schlägt damit träge auf die Holzdielen. Sie schaut wieder den Engel an.
    »Sie machen das nicht besonders gut«, sagt sie, und er lacht. Die Luft um ihn herum flimmert, Staub wirbelt in kaum sichtbaren Spiralen empor. Er hebt die Hand, als spiele er mit dem Windhauch. Und in weiter Ferne: ein hoher, hohler Ton wie der Schluss eines Liedes, das auf einer aus Knochen geschnitzten Flöte gespielt wird.
    »Versuch nicht, einem Flattermann das Fliegen beizubringen, solange du selbst das Nest noch nicht verlassen hast.«
    »Flattermann?«
    »Wie nennt Finnan uns? Engel ... Götter?«
    »Unkin«, sagt sie. Und er schaut sie an, als hätte sie seine Großmutter aufgefressen, drängt sich an ihr vorbei und läuft auf Finnans Stellplatz zu ... als hätte er den Weg die ganze Zeit schon gekannt. Sie eilt ihm nach.
     
     
    Knochen
     
    »Ich dachte, dein Freund redet nicht viel«, sagt der Engel abgehackt.
    »Er hat mir nie erklärt, was es bedeutet.«
    »Unwissenheit ist ein Segen.«
    »Bockmist«, sagt sie.
    Der Engel wirft ihr über die Schulter hinweg einen Blick zu, und der Hund, an dem sie gerade vorbeigekommen sind, fängt an zu jaulen.
    »Hat er gedacht, wir würden dich laufen lassen?«, fragt der Engel.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    »Dann hat dein Freund Finnan dir nicht alles erzählt. Frag ihn irgendwann mal, wie es ist, der Straße des Ewigen Staubes zu folgen. Frag ihn nach dem trockenen Wind, der über die Gefilde der Vergessenen Tage weht. Frag ihn.«
     
    Und er murmelt etwas vor sich hin und plötzlich ist ihr schwindlig, vor ihrem geistigen Auge sieht sie eine lange, trockene, staubige Straße; der Engel schreitet sie entlang, um ihn herum wirbelt Staub auf, Sand und Splitt peitschen durch die Luft, der dunkelgraue, ockerrote, bleichweiße Schmutz der Jahrhunderte, der Jahrtausende ... sie sieht, wie seine schwarzen Lederstiefel einen Vogelschädel zertreten, sie sieht eine weite, ganz mit Knochen bedeckte Ebene, eine riesige Wüste – nicht die Mojave, sondern irgendeine andere, irgendwo weit, weit weg. Und ihr geht ein Wort durch den Kopf, etwas, das sie nicht ganz versteht ... Villa? Volumen? Valium? ... Vellum?
    Sie schüttelt den Kopf, um klarer denken zu können, um die Bilder und das Klingeln abzuschütteln, aber ihr ist noch immer übel.
     
    »Ich weiß nur«, sagt sie, »was er mir über die Zauberei beigebracht hat, über Voudon und Santería – nichts, was man nicht auch aus Büchern lernen könnte. Und über euch Unkin weiß ich nur, dass manche Leute zulassen, dass die Zauberei Macht über sie gewinnt, sich in ihrer Seele festsetzt, bis sie denken, sie wären irgendeine beschissene Herrenrasse, eine ›lebende Manifestation der Gottheit‹ – und natürlich sind sie mächtig, aber sie sind so sehr von sich eingenommen, so verdammt selbstgerecht, so verdammt ...«
    Das Wort, nach dem sie gesucht hat, entgleitet ihr; sie kann nur angewidert auf den Boden spucken.
    In gewisser Hinsicht ist es wahr. Das Wenige, was Finnan ihr erzählt hat, ist eigentlich nur Küchenzauber – Glücksbringer, nur kleine Kratzer auf der Welt. Selbst das Wort ›Unkin‹ ist ihm nur rausgerutscht, als er einmal betrunken war und sich so sonderbar benahm, dass sie nicht wusste, ob er traurig oder wütend war, auf sie oder jemand anderen. Aber wenn der Scheißkerl ihr einen Köder hinwerfen möchte, soll er sich doch ins Knie ficken; das Spiel können auch zwei spielen.
     
    »Es gibt rechtschaffene Unkin und gefallene Unkin«, sagt der Schwarze, »und es gibt Narren wie Finnan, die glauben, sie könnten neutral bleiben, die glauben, sie könnten sich am Ende der Welt vor ihren

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