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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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getötet wurde, zweitausend Jahre bevor jener Gott, Adonai, Sohn der Maria, an Mithras Geburtstag in einem Stall zur Welt kam. Nicht dass es eine Rolle spielt, welcher Hirte auf welchem Hügel in welchem Jahrtausend gestorben ist; es wird immer Menschen geben, die den Tod eines Sündenbocks feiern, in Babylon, in Jerusalem oder in Wyoming. Und es wird immer Menschen geben, die ein lautes Wehklagen anstimmen, nicht um des Leides eines Einzelnen, sondern letztlich um ihrer selbst willen.
     
    »Pan ist tot«, sagt Jack. »Der große Pan ist tot.«
    So schwer es mir fällt, ich schaue ihn an, wie er da auf dem Bett sitzt, das Blatt mit den hingekritzelten Notizen in den Händen, als ergäbe alles einen Sinn – wenn er darin nur einen Sinn finden könnte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich für ihn wirklich anwesend bin; während der letzten Monate hat er sich so sehr abgeschottet, dass ich ihn ebenso gut von einem Fenster in einer anderen Welt aus beobachten könnte. Nicht einmal Joey kommt noch an ihn heran.
    So schwer es mir fällt, ich schaue ihn an, mit seinen abgebrochenen Hörnern und den blutigen, kauterisierten Stümpfen, wo einst seine goldfarbenen Flügel gewesen waren, und mir ist nicht klar, wie er das geschafft hat, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Angesichts dieser hornlosen, flügellosen Kreatur, die aussieht, als habe ein mittelalterlicher Mönch den Teufel in Holz gestochen, läuft mir ein Schauder den Rücken hinunter. Überall klebt Blut.
    Die Sirene eines Krankenwagens kommt heulend näher und Joey nickt mir zu, als er an mir vorbei zur Tür hinausgeht – du bleibst bei ihm.
    Jack legt das Blatt mit den Notizen hin und greift nach dem Zippo auf der Biographie von John Maclean, die neben ihm auf dem Bett liegt. Er fängt an, mit dem Feuerzeug zu spielen, schnippt den Deckel auf und zu, auf und zu, klick, klack, klick, klack.
    »Wie kommst du mit dem Buch weiter?«, fragt er.
    Klick, klack, klick, klack.
    »Ganz gut«, antworte ich.
    Klick, klack, klick, klack.
    »Hast du an die brennende Landkarte gedacht? Du brauchst unbedingt eine brennende Landkarte. Jedes Epos beginnt mit einer brennenden Landkarte.«
    Ich zucke mit den Achseln.
    Klack .
     
     
    Flug in die Ewigkeit
     
    Ich fliege über das Vellum wie ein tödlicher Schatten – das ist jedenfalls meine Befürchtung. Mit meinen Schwingen aus Schmelz gleite ich über eine Welt nach der anderen hinweg, majestätisch wie ein Engel. Mit eigenen Augen habe ich die winzigen Pünktchen gesehen – Menschen und andere Geschöpfe, die sich wie Insekten über die Oberfläche der weiten Welt unter mir bewegen. Ich weiß, ich weiß ganz sicher, dass diese Ewigkeit nicht wüst und leer ist. Sie ist nicht wüst und leer ... bis ich komme.
    Ich schwebe zwischen den Wolken einher wie ein entsetzlicher Dämon mit Schutzbrille und Maske, lasse mich von Zeit zu Zeit auf den kunstvollen Glasvoluten der Säulen märchenhafter Türme nieder und blicke auf die Menschheit hinab, hole sie mit meiner Schutzbrille ganz nahe heran, und sehe, o Gott, die Scharen derjenigen, die in diese Welt gehören. Zehntausend Jahre ohne eine Menschenseele, mit der ich hätte reden können, nur mit den Erinnerungen an Gespräche, an Diskussionen! Ich hatte angefangen, mich in meiner Einsamkeit wohl zu fühlen, aber nun, da ich weiß, dass es diese anderen gibt, träume ich unentwegt davon, zu ihnen hinabzufliegen, ihnen lächelnd die Hand zu reichen, die Arme auszubreiten und mich wieder der Menschheit zuzugesellen.
    Als es das erste Mal passierte – als ich in der Wildnis zum ersten Mal einem anderen Menschen begegnete, war ich so überwältigt, dass ich vor lauter Weinen und Lachen nichts mehr sehen konnte und kaum wahrnahm, wo ich landete. Ich stürzte abwärts, jauchzend vor Freude, übertönte alle Angstschreie und landete, wild drauflos plappernd, riss mir die Schutzbrille von den Augen und warf sie von mir.
    Einen Augenblick lang schwieg die Welt, und dann brüllte ich mein Entsetzen hinaus.
     
    Liegt es an dem ›Buch‹, frage ich mich, oder an mir? Denn wenn ich an Höhe verliere, wenn ich mich langsam kreisend dem Erdboden nähere, und sogar wenn ich in den Sturzflug übergehe, mich in der vergeblichen Hoffnung der Schwerkraft überlasse, ich sei schneller als die Macht, die mir folgt – dann sehe ich, wie sich ihre Gesichter mir zuwenden, wie sie zu mir hinaufstarren, auf mich deuten, einander am Ärmel zupfen, die Augen bedecken, den Mund in wortlosem Erstaunen

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