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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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festgenommen hat. Zwei Männern — dem einundzwanzigjährigen Russell Arthur Henderson und Aaron James, dessen Alter noch unbekannt ist — wird versuchter Mord, Entführung und schwerer Raub vorgeworfen, während ihre Freundinnen der Beihilfe beschuldigt werden. Das Opfer befindet sich noch immer in kritischem Zustand auf der Intensivstation hier im Poudre Valley Hospital, wo Familie und Freunde rund um die Uhr bei ihm wachen. Wie es sein Onkel in einer emotionalen Stellungnahme heute Vormittag ausdrückte: ›Er ist ein kleiner Mensch mit einem weiten Herzen, einem scharfen Verstand und einer gütigen Seele, und das alles wollte ihm jemand nehmen. Jetzt, in diesem Augenblick, ist er in Gottes Hand.‹«
     
    ›Konkrete Bilder‹, hatte er hingekritzelt, weiter unten auf der Seite, wo das Gekrakel allmählich Überhand nahm und die zunehmend zerstreuten Notizen verdrängte, die er gedankenverloren niedergeschrieben hatte — ein dicker Klecks aus Blockbuchstaben, immer und immer wieder in unterschiedlicher Farbe übereinander geschrieben, das Werk einer Hand, eines Stifts, die Wörter immer und immer wieder nachgezeichnet, eher als Umriss, dem es zu folgen galt, denn als Bedeutungsfragment. Darunter war etwas handschriftlich niedergeschrieben, so schnell, gedrängt und flüchtig, dass es fast wie Kurzschrift aussah — allem Anschein nach ein kurzes Auflodern plötzlicher Erkenntnis, bevor die Schrift darüber gemalten Kreisen und Rechtecken und seltsamen Körperteilen wich. Schließlich gab ich den Versuch auf, es zu entziffern.
     
     
    Die Passion des Thomas Messenger
     
    »Ich kann nicht anders«, sagte er. »Wie ein Schmetterling, der von einer Flamme angezogen wird.«
    »Wie eine Motte«, sagte ich. »Wie eine Motte, die von einer Flamme angezogen wird.«
    »Schmetterlinge sind hübscher«, sagte er und tat meinen Einwand mit einer Handbewegung ab. »Egal. Ich weiß jedenfalls, mit wem ich heute Nacht nach Hause gehe.« Er zwinkerte mir zu, ein flüchtiger Kuss und ein Schulterklopfen, glitt von seinem Barhocker und schlenderte zu den beiden Burschen hinüber, langsam und bedächtig, zog eine zerknautschte Schachtel Marlboros aus der Gesäßtasche seiner hautengen Jeans, nahm eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie in die Höhe — eine Frage, eine Einladung. Als einer der beiden sie mit einem ›Klunk‹ anzündete, mit einem schneidenden ›Wosch‹, und sein Zippo mit einem endgültigen ›Klack‹ schloss, warf Puck mir einen raschen Blick zu und lächelte.
     
    »Dabei stellt sich die Frage«, sagte Hobbsbaum, »wer denn eigentlich definiert, was real, was rational ist — wer grenzt es ein, wer scheidet es vom Phantastischen, und sind das nicht auch diejenigen, die durch ihre Definition das Phantastische vom Rationalen überhaupt erst ausschließen? Wenn wir zwischen der rationalen Idee der Vernunft einerseits, die uns von den sinnlichen Leidenschaften befreit, und der romantischen Vorstellung von der Leidenschaft als Fluchtmöglichkeit vor den Verboten und Vorschriften eines dogmatischen, gesetzgebenden Intellekts andererseits hin und her gerissen werden — übersehen wir da nicht, dass Romantik wie Rationalismus und alle Phantasten und Realisten, die diese Lehrmeinungen vertreten, ihre Macht eigentlich erst durch eben den Akt der Unterscheidung erhalten, den Akt der Diskriminierung, auf den Ausschluss gegründet, den sie erst geschaffen haben, und von der Angst vor und der Sehnsucht nach dem Anderen gespeist, welche diesen Ausschluss hervorrufen?«
     
    Gibt man sich eher schlichten Wunschträumen hin, dann könnte man sich Pucks Seele jetzt als Wesen aus reinem Licht vorstellen, das in der Gnade des Christus Adonais ruht, oder irgendeinen ähnlichen seichten, sentimentalen Unsinn ... doch mein Puck war von Kraft und Lebensfreude erfüllt, und für ihn — für uns — war der Körper keine Falle, aus der er befreit werden musste, sondern eine wunderbare Verbindung von Fleisch und Körpersäften. Seine Gedanken waren ebenso schmutzig wie mein Mundwerk, und wenn wir vögelten, flüsterte ich ihm süße Obszönitäten ins Ohr und er segnete mich mit seinem Erguss. Nein, Puck war nicht für himmlische Sphären geschaffen, sondern für die irdischste, sinnlichste aller Welten. Ein Paradies ohne den Gestank von Schweiß und Samen wäre für ihn die Hölle, steril und kraftlos so ganz ohne Eingeweide und Dreck. Du kennst mich, Jack.
     
    Aber die Eiferer betrachten diejenigen, die sie hassen,

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