Velten & Marcks - Mordfall Tina Hofer (German Edition)
man auch mit solchen Leuten umgehen können.“
Sie streckte den kaum vorhandenen Bauch heraus und äffte den Baulöwen nach: „ Assistieren Sie Herrn Velten?“
Er lachte schallend: „Leonhards Weltbild ist ganz simpel gestrickt. Männer regeln die wichtigen Dinge des Lebens und bringen das Geld nach Hause. Frauen dürfen sich gerne etwas dazu verdienen, solange sie noch nicht verheiratet sind. Danach heißt es Kinder kriegen und den Haushalt führen.“
"So ein Fossil", schimpfte sie. "Und dann auch noch diese unverblümte Erpressung mit seinem Immobilieninserat: Wenn ihm der Artikel gefällt, können wir mit einer ganzseitigen Anzeige rechnen. Wenn nicht, dann nicht. Als ob wir käuflich wären ..."
„Ich nehme an, dass er genau das von uns denkt.“
„So ein ... So ein ...!“
„ ... Fossil. Übrigens solltest du deine Gesprächsführung bei solchen Interviews überdenken“, riet er ihr.
„Inwiefern denn?“
„Du hast Leonhard sofort in eine Situation gebracht, in der er sich verteidigen musste. Als Konsequenz hat er natürlich die Schotten dichtgemacht. Versuch es doch einfach mal mit etwas mehr berechnender Liebenswürdigkeit, auch bei chauvinistischen Primaten wie unserem Baulöwen.“
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Zurück in der Redaktion widmete sich Velten den unterschiedlichsten Routineaufgaben. Nach der täglichen Besprechung mit Redaktionsassistentin Renate Knab folgte die übliche Konferenz mit den Kollegen, bei der die Schwerpunkte der nächsten Tage festgelegt wurden. Vor Weihnachten gab es allerlei Herziges zu erzählen. Unternehmen überreichten Spenden an die Waldenthaler Tafel, Kinderchöre sangen auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus, Schulklassen sammelten Geld für Kriegswaisen, und die Landfrauen verkauften selbstgebackenen Kuchen zugunsten des Tierheims. In einer Straße in einem ländlichen Vorort der Stadt traten zwei bis aufs Blut verfeindete Nachbarn alle Jahre wieder in einen erbitterten Wettstreit um das am stimmungsvollsten illuminierte Haus. Manch einer mochte diese Themen banal finden, doch für eine Lokalzeitung, die fest in der Region verwurzelt war, gehörte die Berichterstattung über solche Ereignisse zur Pflichtaufgabe, erst recht vor Weihnachten. Nach der Redaktionskonferenz widmete sich Velten den eingelaufenen E-Mails, während Katja die Anfragen beantwortete, die über die Sozialen Netzwerke an die Kurier -Redaktion gerichtet wurden.
Es war schon fast Mittag, als er mit der Bearbeitung der elektronischen Post fertig war. Er wollte das Mailprogramm eben wegklicken, als noch eine Nachricht eintraf. Es handelte sich um eine Pressemitteilung der Polizei mit dem Betreff „Skelett einer Toten bei Erdrutsch freigelegt“. Er überflog den Text, der nichts enthielt, was er nicht schon wusste, abgesehen vom Geschlecht der Leiche. Allerdings gab die Kripo jetzt auch offiziell bekannt, dass sie von einem Tötungsdelikt ausging. Der Nachricht waren Fotos angefügt, die Gegenstände zeigten, die im Umfeld des Opfers sichergestellt worden waren. Velten klickte die Bilder schnell durch. Sie zeigten die farbenfrohe Armbanduhr eines bekannten Schweizer Herstellers, die Überreste heller Sportschuhe und eine Kette samt auffälligem Anhänger in Form eines Schmetterlings. Er leitete die Mail an Katja weiter.
Sie überflog die Nachricht: „Soll ich das Gespräch mit Leonhard und die PM der Polizei in einem Artikel verarbeiten oder zwei Beiträge daraus machen?“
„Zwei sind besser“, befand Velten. „Die Streitereien um die Pfaffenwiese und die Stützmauer haben ja mit dem Leichenfund nichts zu tun.“
„OK, den Bericht über die unbekannte Tote habe ich in ein paar Minuten fertig. Das Interview wird etwas länger dauern.“
Velten hatte sich vorgenommen, mehr über die politischen Hintergründe zu erfahren, die bei den Bauarbeiten zur Pfaffenwiese vor zwanzig Jahren eine Rolle gespielt hatten. Wenn mitten im Wald eine Fläche von rund fünfzehn Hektar planiert und in einen offensichtlich völlig überflüssigen Industriepark verwandelt wurde, könnte dahinter mehr stecken als nur Inkompetenz. Es gab schließlich immer jemanden, der von so etwas profitierte. Hagen Leonhard war nur einer der möglichen Nutznießer.
Er würde mit Regina Kerner sprechen, der starken Frau der Konservativen im Waldenthaler Stadtrat. Und er wollte Alf Kuntz besuchen, den langjährigen Redakteur des Morgenkurier , der sich damals intensiv mit den Geschehnissen um die Pfaffenwiese beschäftigt hatte.
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