Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Renwick, S: Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Mists of Velvet - The Immortals of Annwyn Book Two
zurückzuweichen, als ihn der Engel berührte. Suriels Finger fühlten sich heiß an, als sie nun unter seinen Hemdkragen fuhren. »Glaubst du an die Macht dieses Symbols, MacDonald?«
Rhys blickte nach unten auf den Anhänger, der auf Suriels Hand ruhte. Das kunstvoll verschnörkelte keltische Kreuz glitzerte neben den tätowierten Schriftzeichen.
Dieses Kreuz war ein Taufgeschenk gewesen, es wurde jeweils an den männlichen Erstgeborenen der MacDonald-Linie weitervererbt. Daegan hatte das Kreuz damals aus Schottland mitgebracht. Man sagte, dass Daegan das Kreuz mit dem Wasser aus einem geheiligten Becken in Annwyn hatte weihen lassen.
Der Talisman diente zum Schutz; Rhys hatte ihn noch nie abgelegt.
»Glaubst du daran?«, stieß Suriel wütend hervor. Da war ein wilder Ausdruck in seinem Blick.
»Ja, ich glaube daran.«
Wenn er auch nicht der Typ war, der in die Kirche ging, so war er doch gläubig, aber vor allem glaubte er ganz fest an die Macht des Kreuzes, das er um den Hals trug.
Offenbar war Suriel mit dieser Antwort zufrieden, denn nun ließ der Engel von ihm ab und wich einen Schritt zurück. Rhys hörte das seidene Rascheln von Suriels Schwingen, die über den Parkettboden streiften. »Gut. Nutze diesen
Glauben. Lass nicht zu, dass er jemals ins Wanken gerät. Du wirst ihn noch brauchen.«
»Aus welchem Grund bist du hier, Suriel? Sag mir die Wahrheit.«
»Benutz deinen Verstand, MacDonald«, fuhr Suriel ihn an. »Glaubst du, mir macht es etwas aus, wenn du dich in diesen verlassenen Tunnel begibst und dich in Annwyn abschlachten lässt? Das ist mir wirklich scheißegal. Aber offensichtlich macht es Ihm etwas aus.«
»Und woher willst du wissen, dass ich vorhatte, in den Tunnel zu gehen? Vielleicht wollte ich ja bloß diese Tür öffnen und mal einen Blick reinwerfen?«
Suriel schnaubte verächtlich. »Du bist kein guter Lügner. Und außerdem, was glaubst du wohl, woher ich es weiß? Er hat es mir gesagt.«
Rhys’ Blick fiel wieder auf Suriels Handflächen. Die Zeichen waren verschwunden – wie ausradiert.
»Ausradiert, das wirst auch du, wenn du es wagst, durch diese Tür zu gehen. Vergiss das nie. Ich habe hiermit meine Schuldigkeit getan«, knurrte Suriel. »Jetzt liegt es an dir, du dummer Mensch, sinnvoll mit dem Wissen, das ich dir vermittelt habe, umzugehen.«
Und dann war der Engel mit einem Mal verschwunden, er hatte sich vor Rhys’ Augen in Luft aufgelöst. Während er noch das unangenehme Gefühl abzustreifen versuchte, fiel sein Blick unwillkürlich auf die Holzkiste, die an der Ecke des Schreibtisches stand. Auf dem Deckel war das keltische Kreuz eingraviert. Er war im Glauben der Presbyterianer erzogen worden – in der Kirche von Schottland also –, und er glaubte auch daran. So seltsam es klingen und so beschissen sein Leben sein mochte, er glaubte immer noch an
Gott und die Engel, an den Himmel und die Hölle. Und ein kleiner Teil von ihm glaubte sogar, dass ihm Suriel die Wahrheit gesagt hatte. Annwyn wollte ihn nicht, und wenn er es wagte, die Höhle von Cruachan zu betreten, dann würde Gott ihm nicht helfen können – es vielleicht auch nicht wollen.
Die Warnung war nur zu deutlich gewesen. Doch andererseits, er hatte ja Keir …
»Du hättest mich gebraucht?«
Rhys blickte von der Holzkiste auf und sah den Schattengeist in der Tür stehen.
»Wie lange bist du schon hier?«
»Lange genug, um mitzubekommen, wie Suriel dich vor der Höhle gewarnt hat.«
Rhys zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. »Suriel ist ein gefallener Engel. Warum solltest du oder ich irgendetwas von dem glauben, was er zu sagen hatte?«
»Weil dein Gott durch ihn zu dir spricht.«
Rhys schnaubte verächtlich. »Klar, genau. Wenn Gott mit Suriel reden würde, dann wäre der ja kein Gefallener, oder?«
»In Annwyn brechen die Dunklen Zeiten an. Doch auch im Reich der Sterblichen hat es bereits begonnen. Vielleicht braucht dein Gott ja Suriels Wissen um die zwielichtigeren Seiten der menschlichen Art. Suriel ist Gottes Hoffnung für die Menschheit.«
Rhys begegnete Keirs elektrisierendem Blick. Er hatte ihm schon Millionen Male zuvor in die Augen gesehen; doch irgendwie wirkten sie heute Abend anders. Die silbrige Iris mit der violetten Umrandung war verschwunden. Jetzt waren die Augen weiß wie Eis, umgeben von einem dunkleren
Violett, das bei diesem Licht fast schon schwarz wirkte. Keir hatte sich verändert. Er machte sich wegen irgendetwas große Sorgen – oder um
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