Venedig sehen und stehlen
Vernissagen und kleinen Ausstellungen an ungewöhnlichen Plätzen. Die Leute suchen hier ja immer nur Tizian und Tintoretto. Aber Venedig ist ja auch für moderne Kunst eine grandiose Kulisse. Die Biennale beweist es doch immer wieder!«
»Aber natürlich«, sagte Harry. »Es kann ein Ereignis sein, wenn beides aufeinandertrifft …«
»Genau das ist es, das ist eine sehr spannende Inszenierung«, unterbrach Britt Benning ihn gleich wieder. »Wissen Sie, ich bin ja Schauspielerin. ich weiß nicht, ob Sie mich kennen?«
Harry zögerte.
»Na ja, Sie leben ja in den Staaten. Aber ich hab auch mit Roger Moore gedreht. In Cinecittà.« Sie lachte.
»Doch, doch, Sie kamen mir gleich bekannt vor«, sagte Harry, der sie jetzt tatsächlich mit einer deutschen Fernsehserie aus seiner Jugend in Verbindung brachte.
Das zeigte Wirkung. Ein regelrechtes Gewitter von Zuckungen ging über ihre Augenbrauen hinweg, was ein Klimpern ihrer Silberketten und Armreifen zur Folge hatte. Britt Benning kam jetzt richtig in Schwung.
»Ihr alter Studienfreund ist leider vor zwei Tagen abgereist. Aber sie müssen unbedingt heute Abend zu unserer Veranstaltung kommen.«
Dass der arrogante Kotzbrocken sich nicht mehr in Venedig aufhielt, war Harry ganz recht.
»Wir haben nämlich in einem anderen Palazzo, gleich nebenan im Dorsoduro, ein ganz aufregendes. wie soll man das nennen? Ja, ein regelrechtes Happening. Zwei finnische Künstler, die in einem großen Raum leben und malen. Die leben dort wirklich, die ganzen Wochen während der Biennale. Sie arbeiten dort, essen und trinken. Und die Leute können sich das ansehen, sie dabei beobachten.«
Ist ja toll, dachte Harry.
»Spannend? Oder?«
»Mmh, interessantes Projekt.«
Jetzt fiel ihm auch ein, woher er sie kannte. Tatsächlich aus dem Fernsehen. Sie hatte in einem alten »Derrick« mal eine Zahnarzttochter gespielt, die im Rollstuhl durch eine dieser Grünwalder »Derrick«-Arztvillen kutschierte. Ganz tragisch. Und dann war sie auch noch die Mörderin gewesen, wenn er sich richtig erinnerte.
»Derrick? Die Frau im Rollstuhl?«
»Ach ja, das ist lange her. Ich hab ja viel Fernsehen gemacht.«
Britt Benning war glücklich und klimperte mit den Armreifen.
»Das ist jetzt auch ein bisschen weniger geworden. Ich habe mich in den letzten Jahren mehr auf die Fotografie verlegt. Ich arbeite grade an einem Bildband über Türen in Venedig.«
»Türen?«, fragte Harry, vielleicht eine Spur zu interessiert. »Ah ja.«
»Das ist Wahnsinn. Die alten Türen in Venedig, das haut mich um. Wir leben ja hier, wenn wir nicht in der Schweiz sind. Mein Mann ist Schweizer. Er hat eine chemische Fabrik für Lacke und Farben gehabt. Wir haben auch die Aktion mit den beiden finnischen Künstlern gesponsert.«
Harry stierte zur Abwechslung mal wieder auf den braunen Strich auf dem Wandbild von Ahlen.
»Sie müssen unbedingt die anderen ›Amici‹ kennenlernen.« Bei dem Wort »Amici« lachte sie.
Harry war sich gar nicht so sicher, ob er in Venedig gleich neue Bekanntschaften machen wollte. Aber irgendwie hatte er auch das Gefühl, in Europa wieder aufgenommen zu werden. Doch, es war ihm ganz recht, heute Abend gleich etwas vorzuhaben. Bei so einem Empfang konnte man ja jederzeit wieder gehen. Er ließ sich die Adresse geben.
Zum Hotel zurück nahm er das Vaporetto. Er genoss es, auf dem offenen Heck des Schiffes den Canal Grande hinabzufahren. Der Campanile und die Piazzetta San Marco zogen vorüber. Von Süden wehte ein angenehmes Lüftchen über die Lagune. Bevor er abends loszog, wollte er sich in seinem Zimmer für ein Stündchen hinlegen. In der Tabacchi-Bar versuchte er noch einmal, bei Zoe in New York anzurufen. Diesmal war sie sofort dran. Aber besonders erfreut wirkte sie nicht, ihn zu hören.
»Harry, where are you?«
»Ich hab es dir doch gesagt. In Venedig.«
»Das ist nicht dein Ernst. You have a lot of nerve, to fly to Venice all at once. So können wir nicht miteinander umgehen!«
»Ja, ja, ich weiß.«
Das Piepen und Klingeln des Spielautomaten, der sich bislang ruhig verhalten hatte, setzte erneut ein. Harry versuchte, Zoe den Namen und die Adresse seines Hotels durchzugeben. Zoe konnte er kaum mehr verstehen.
»Darling, denk an unsere Venedig-Pläne! Du weißt, was wir hier vorhatten!« Harry sprach in gepresstem Flüsterton, ganz dicht an der Sprechmuschel. Als ob ihn hier jemand verstehen könnte.
»Ich seh mir das Museum morgen gleich an. Außerdem, du wirst
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