Venedig sehen und stehlen
Venedig lieben.«
Dann brach das Gespräch ab. Harry hörte den letzten Gettone hinunterfallen.
5
Als Harry am Abend den Palazzo betrat, kam ihm schon aus der Halle Stimmengewirr entgegen. Er war spät dran. Als er sich eben im Hotelzimmer für einen Moment aufs Bett gelegt hatte, war er sofort eingedöst und hatte sehr viel länger geschlafen als beabsichtigt.
Die Veranstaltung war schon in vollem Gange. Er hörte verschiedene Sprachen, auch ein paar deutsche Brocken. In dem großen, hohen Raum standen etwa dreißig Leute, alle mit Proseccogläsern in den Händen. Es war eine bunte Gesellschaft unterschiedlichen Alters, in der Mehrzahl Frauen, die sich chic gemacht hatten, ein paar junge gut aussehende Italiener und ein paar nicht ganz so gut aussehende Deutsche und Skandinavier. Hinter einem improvisierten Sekttresen schenkte ein Teenager in einer durchsichtigen Bluse gelangweilt den Prosecco ein. Die Hälfte kippte das Mädchen neben die Gläser. Auch ein paar Kinder tobten durch den Raum. Es gab Männer mit Glatzen und Vollbärten. Einige trugen weite weiße Hosen und grobe Leinenhemden ohne richtigen Kragen. Die Frauen hatten auffällige Ohrringe und Kettenkreationen angelegt. Sie begrüßten sich laut. Eine Amerikanerin rief auf Italienisch »Grandiosa« und gleich hinterher »Amaiiizing« .
Die beiden finnischen Künstler, die mittendrin auf einem alten Sofa saßen, fanden nur am Rande Beachtung. Der eine las einen Comic, der andere kaute gelangweilt an einem Sandwich herum. Zwischendurch legte er eine Platte auf. Die beiden hatten ein altes Koffergerät mit einem eingebauten Lautsprecher im Deckel und noch richtige Vinylplatten mit großen bunten Hüllen. Die Sammlung reichte von Velvet Underground bis zu russischen Trinkliedern. Was Künstler eben so hören, dachte Harry und musste schmunzeln. Gerade lief eine historische Charlie-Parker-Aufnahme.
Es war so eine Mischung aus Atelier, Studentenbude und Baustelle. Unter einem der großen Fenster mit einem hohen bis zur Decke reichenden Bogen gab es ein ungemachtes Bett. Zwischen den steinernen Säulen, die den Raum unterteilten, standen scheinbar ungeordnet ein paar alte Sperrholzmöbel, Stühle mit Stahlrohrbeinen und giftgrünen durchgesessenen Polstern und eine Staffelei mit einer großen, halb bemalten Leinwand. Davor lagen ausgedrückte Tuben Ölfarbe und verschiedene Dosen, darunter einige auffällig neue mit der deutlichen Aufschrift »BUCOLOR«. An einer der Steinsäulen lehnte ein Bild im Stil des frühen Picasso mit einem gitarrespielenden Nackten. An einer anderen Säule stand die echte Gitarre. An der Backsteinwand hing bewusst schief noch einmal derselbe Gitarrenspieler. Der stattliche Kaminsims quoll über vor leeren Bierund Schnapsflaschen. Auch vor dem Kamin drängte sich eine eindrucksvolle Flaschenbatterie.
Der eine der beiden Typen war ein Bilderbuch-Finne, blond und etwas grobschlächtig. Der andere war dünner und hatte schmierige, im Nacken ausrasierte dunkelblonde Haare, die Harry an eine Hitlerjungenfrisur erinnerten. Sie trugen dekorativ mit Farbe bespritzte Klamotten und wirkten nicht sonderlich gepflegt. Der Blonde sah so aus, als könnte er nach ein paar Schnäpsen schon mal handgreiflich werden. Aber im Augenblick schienen sie die Party um sie herum überhaupt nicht zu beachten.
Aus einer Gruppe stürmte Britt Benning auf Harry zu.
»Signor Oldenburg«, rief sie, wobei sie das »Signor« ironisch betonte.
»Das ist ja wundervoll, dass Sie es geschafft haben. War es schwierig uns zu finden?« Sie zuckte zweimal mit den Augenbrauen. Ihre Lippen waren noch ein bisschen roter als heute Nachmittag.
»Nein, nein. Ich hatte nur etwas mit meinem Jetlag zu kämpfen.«
»Aber jetzt sind Sie hier. Ich muss Sie gleich den anderen vorstellen. Ich hab schon von Ihnen erzählt. Es sind natürlich alle ganz gespannt auf den New Yorker Maler und Galeristen.«
»Die Veranstaltung mit den beiden Künstlern ist sehr witzig«, sagte Harry. »Gefällt mir, diese Persiflage auf das wilde Künstlertum.«
»Sie heißen Miika und Päiviö. Die beiden leben hier tatsächlich. Die ganze Zeit. Ist das nicht irre? Sie malen immer wieder dasselbe Motiv, diesen nackten Jüngling mit Gitarre. Spannend? Oder?«
»Finnischer Humor«, sagte Harry. »Das ist doch finnisch, oder? Mit ihren unbewegten Minen. Und diesen ganzen Flaschen.«
»Päiviö sagt, proportional zur Anzahl der Gemälde wird auch die der leeren Bierflaschen zunehmen. Einfach
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