Venedig sehen und stehlen
toll!«
Britt Benning zog Harry mit zu einer Gruppe hinüber, die neben dem nackten Gitarrenspieler stand.
»Selina, bring unserem Gast bitte einen Drink«, rief sie dem Teenager in der Indienbluse hinter der Bar zu.
»Echt, Mama, du machst hier einen Stress«, nölte das Mädchen in schwyzerdütschem Akzent.
»Selina, bitte, sei so gut.«
Harry machte die paar Schritte zum Sekttresen und ließ sich ein Glas geben.
»Da ist er, unser New Yorker Maler«, stellte Britt Benning ihn der Runde vor. Harry war das fast etwas unangenehm.
»Und das ist unsere kleine, aber feine venezianische Clique«, sagte die »Derrick«-Schauspielerin, lachte kurz hysterisch auf und zuckte ein paar Mal mit den Augenbrauen.
Selbst ernannter Chef der Gruppe war ganz offensichtlich Giovanni, der eigentlich Hans-Dieter hieß. Er war Lehrer für Latein und Sport und kam aus Schneverdingen in der Nordheide. Hans-Dieter war Mitte vierzig oder vielleicht auch fünfzig. Er hatte eine weiße von Sommersprossen übersäte Haut, einen leicht schütteren graublonden Stoppelschnitt und einen zu einem schmalen Strich rasierten Kotelettenbart, der sich wie die Linie auf einem Tennisball um den halben Kopf zog. Harry sah ihn sofort beim Deklamieren lateinischer Konjugationen oder im engen altmodischen blauen Trainingsanzug mit Trillerpfeife vor sich. Im Augenblick allerdings trug er ein weißes Leinenhemd mit nur drei Knöpfen, die Giovanni-Dieter alle geöffnet hatte. Er sah aus wie einer dieser mittelalten Männer, die sich mit Marathonläufen gegen das Altern wehren.
»Benvenuto dagli amici dei musei di Venezia« , rief er mit meckernder Stimme. Dabei sah er Harry prüfend an. »Sie verstehen doch Italienisch?«
Harry fühlte sich sofort an quälende Lateinstunden erinnert und kam automatisch ein bisschen ins Stottern.
»Na ja, m-mein Italienisch hält sich in Grenzen. Zum Cappuccinobestellen reicht es gerade.«
»Da entgeht Ihnen etwas: Italiano!«, bellte er betont italienisch, aber gleichzeitig auch militärisch. »Das ist eine wunderbare Sprache. Sie sind Deutsch-Amerikaner, habe ich gehört?«
»So etwas in der Art.« Deutsch-Amerikaner, das hörte sich doch gar nicht so schlecht an, fand Harry.
»Leben Sie direkt in Manhattan?«, schaltete sich eine kleine Frau ein. Sie stellte sich als Doris vor. Sie hatte einen erstaunlich runden Kopf und trug Zentimeter kurze, nach vorn gekämmte Haare, die das Runde des Kopfes noch betonten, und eine auffällige, in verschiedenen Farben gefleckte Brille.
»Lower East Side«, sagte Harry.
Doris sah ihn von unten ausgesprochen freundlich durch ihre bunte Brille an: »Schön. Ich war letztes Jahr da. Wirklich schön.«
Doris war Psychotherapeutin, trug ein zeltartiges Kleid, in dem ebenfalls eine Anstecknadel aus Muranoglas steckte, und fand alles schön. Deshalb schrieb sie auch Gedichte.
»Japanische Haikus«, sagte ein Mann auf Schwyzerdütsch und legte dabei den Kopf schief. Der ältere Typ mit dem sanften Blick war Britt Bennings Mann Beat, Erbe einer Schweizer Fabrik für Lacke und Farben. Er trug ein edles, aber abgetragenes currygelbes Sherlock-Holmes-Jackett mit riesigen Karos und Lederflecken auf den Ärmeln.
»Der Beat«, sagte Britt, strich sich mit der Hand durch ihre Haare und tätschelte ihm anschließend gönnerhaft die Wange, »der Beat hat hier finanziell etwas geholfen.« Diesmal zog sie die Augenbrauen nur einmal nach oben.
»Ja ja, Burger-Farben«, sagte er langsam und sanft auf Schwyzerisch.
Daher auch die »BUCOLOR«-Farbtöpfe. Harry wunderte sich, dass der sanfte Lackfabrikant in seinem wollenen Jackett gar nicht schwitzte. Alle anderen waren eher sommerlich gekleidet. Seine Tochter reichte zwischendurch ein Tablett mit cicchetti, kleinen Häppchen mit Fisch. Sie hatte denselben verträumten Blick wie ihr Vater. Aber sie machte eindeutig den Eindruck, dass sie noch etwas anderes zu sich genommen hatte als Prosecco und Thunfischhäppchen. Britt Benning prostete Harry mit einer vertraulichen Geste zu.
Es waren zwar nicht die Maler- und Jungfilmerfreunde aus dem East Village, die venezianischen »Amici dei musei« waren deutlich älter, aber Harry fand sie ganz amüsant. Dabei bekam er auf einmal größte Bedenken, ob es schlau war, sich gleich so viele Bekannte zu schaffen. Er hatte immerhin vor, in ein paar Tagen hier gleich um die Ecke in ein Museum einzusteigen. Da war es wohl eher ungeschickt, dass viele Leute seine Anwesenheit in Venedig bezeugen konnten. Doch
Weitere Kostenlose Bücher