Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
Vom Netzwerk:
Insel, die lang gezogen wie ein Fisch südlich der eigentlichen Stadt liegt, wie ein schwimmender Damm, der sich schützend vor das Herz der Lagunenstadt gelegt hat.
    »Look, Harry, die Giudecca!« Und wie sie das »Giudecca« aussprach, Dschuudekka, klang es für ihn wie eine Verheißung.
    »I love Giudecca« , sagte sie. »Wenn nur diese Grundstücksspekulanten nicht wären. Im Augenblick hab ich nur mein Atelier dort. Aber ich will mir nebenan auch eine Wohnung einrichten. Noch wohne ich in Dorsoduro, gegenüber von Hans-Dieter.« Das »Hans-Dieter« sprach sie voller Verachtung aus.
    »Giovanni, dieser Spießer! Pahh! Borghesucolo! Der ist doch nur scharf auf mein Werft-Atelier.«
    Sie legten an. Das Wassertaxi war tatsächlich unverschämt teuer. Aber in dieser Nacht war Harry das egal. Auf keinen Fall wollte er sich als »borghesucolo« outen. Er reichte dem Chauffeur einen Fünfzigtausend-Lire-Schein und ließ sich zehn zurückgeben.
    Auf der Giudecca war alles etwas bescheidener und selbstverständlicher. Die Häuser hatten ein Stockwerk weniger. Die Boote waren aus Kunststoff und die Brücken aus Holz. Es gab keinen einzigen Andenkenladen, kaum Restaurants und auch Hotels konnte Harry keine entdecken. Hier wohnten die ganz normalen Leute, die in Venedig arbeiteten.
    In der Nähe, wo das Wassertaxi sie abgesetzt hatte, gab es direkt am Kai eine Tankstelle und eine kleine Slipanlage für Motorboote. Zwischen den Häusern lagen kleine Handwerksbetriebe und richtige Gärten. Im Zentrum Venedigs gab es dagegen nur ein paar begrünte Innenhöfe. In der Nacht wirkte die Giudecca wie ausgestorben. Franca hakte sich bei ihm ein. Die Tritte ihrer Schritte in den Westernstiefeln hallten von den Wänden wider. Kam es Harry nur so vor, oder zog sie tatsächlich das eine Bein etwas nach?
    Der Weg zu ihrem Atelier führte sie an einem Kanal im Inneren der Insel an reichlich baufälligen Häusern vorbei. Die »Vendesi«-Schilder an Türen zeigten an, dass viele Häuser zum Verkauf standen. Vor einigen Fenstern hingen Blumentöpfe. Andere Häuser wirkten unbewohnt. Es war stockdunkel. Aber einzelne Türen und Fassaden leuchteten dort, wo sie von Laternen angestrahlt wurden, orange, grün und blau. Das Eckhaus, das plötzlich vor ihnen lag, strahlte in einem unglaublich knalligen Pink. Und über den Kanal spannte sich ein wunderschöner Regenbogen. Harry fühlte sich fast geblendet. Die Farben bildeten einen Tunnel, in den er sich wie durch einen Sog hineingezogen fühlte. Ihm wurde etwas schwindelig. Das war eindeutig die Wirkung der Hawaiianischen Holzrose. Aber vor allem fühlte Harry sich euphorisch. Von Müdigkeit keine Spur mehr.
    Er schwankte leicht und legte seinen Arm um Francas Schultern. Der Kanal mit der tiefschwarzen, sich unwirklich spiegelnden Wasseroberfläche wirkte wie ein riesiger Behälter mit Altöl, das träge vor sich hin waberte. Die Planen der darauf am Rande liegenden Boote leuchteten in Blau und Türkis. Francas Schultern und Oberarme wirkten muskulös und sehnig. Doch ihre vollen Lippen und die dunkel glühenden Augen waren durch und durch weiblich.
    Francescas Atelier befand sich in einer ausgedienten Werft. Es war ein einstöckiges Backsteingebäude mit hohen Bogenfenstern direkt am Kanal. Zum Wasser hin gab es ein grün lackiertes Stahltor und eine kleine Anlegestelle. Hinter der Stahltür stand man gleich in einem etwa fünf Meter hohen Raum. Neben einem Baugerüst, dessen Eisenständer fast bis zur Decke reichten, stand eine monumentale Plastik, ein abstrakter wuchtiger Körper aus einem hellen Stein. Im Schlaglicht von zwei Pendelleuchten aus Blech, die hoch oben von der Decke hingen, warf die Skulptur starke Schatten. Durch eines der Fenster zum Kanal kam etwas Licht von einer Außenlaterne. Viel war nicht zu sehen. Weite Teile des Raumes blieben im Dunkeln. Doch Harry fiel auf, dass der gesamte Raum mit einer hellen Staubschicht überzogen war.
    Die Plastiken, das Gerüst, Gipssäcke und Eimer, die herumstanden, Elektromeißel, Bohrmaschine und eine Flex, alles weiß überpudert. Nur zwischen dem Schlagbohrer und verschiedenen Maurerkellen blitzte etwas Silbernes auf. Es sah wie eine Pistole aus. Aber eigentlich war der Gegenstand zu klein, und es war zu schummrig, um ihn richtig erkennen zu können. Du siehst Gespenster, dachte Harry, es ist vermutlich die Droge.
    »Was sagst du?« Franca blickte auf die Plastik, die sie gerade in Arbeit hatte.
    »Marmor?«, fragte Harry.
    »Naturalmente.

Weitere Kostenlose Bücher