Venedig sehen und stehlen
Was war das?
Der schöne Roberto prostete Giovanni-Dieter mit einem Augenaufschlag zu und der hob etwas gespreizt das Glas. Hämisch äffte Franca Hans-Dieters Geste nach. Dabei nahm sie sich das Kaugummi aus dem Mund und klebte es ziemlich ungeniert unter die Tischplatte.
»Die beiden hatten mal was miteinander«, flüsterte Britt Benning Harry zu.
»Wer jetzt?« Harry blickte nicht recht durch.
»Franca und Hans-Dieter.«
»Ich dachte, also eben sah es so aus, dass Hans-Dieter mit..«
»Mit Roberto«, sagte sie jetzt noch leiser. »Das ist das Neuste. Giovanni hat das eigene Geschlecht entdeckt.« Sie gluckste, klimperte mit den Armreifen und zuckte mit den Augenbrauen, alles auf einmal. »Seine Frau daheim in der Nordheide darf das aber auf keinen Fall wissen.«
»Seine Frau hat das Geld«, tuschelte Doris.
Trotz Animositäten und getuschelter Hinterhältigkeiten herrschte eine ausgelassene Stimmung. Man diskutierte unter anderem die in Venedig alles entscheidende Frage, ob man den Sprizz mit Aperol oder Campari trinkt.
»Aperol sieht besser aus, das warme Orange«, sagte Beat. »Aber es ist einfach zu süß.«
»Vero, Aperol ise too sweet« , sagte Francesca mit rauchiger Stimme und nahm Harry wie selbstverständlich seine brennende Chesterfield aus der Hand.
Sie nahm einen Zug und inhalierte tief. Während sie Harry die Zigarette zurückreichte, blies sie ihm den inhalierten Rauch ins Gesicht und zupfte sich anschließend mit Daumen und Zeigefinger ein paar Tabakkrümel von der Zunge. Die filterlose Zigarette hatte jetzt deutliche Spuren von Francas Lippenstift. Das Zigarettenpapier war ein bisschen fettig und feucht, als er den nächsten Zug nahm.
Harry merkte, dass sie ihn ansah. Er hatte das Gefühl, sie genoss es regelrecht, wie sie ihn damit verunsicherte. Britt und Doris warfen sich vielsagende Blicke zu.
Nach einer Weile wusste Harry nicht mehr, wie viele Sprizz er eigentlich getrunken hatte. Er sah nur Francesca vor sich. Sie prostete ihm schon wieder mit einem neuen Sprizz zu. Mit dem beschlagenen roten Glas in der Hand sah sie aus wie in einer Campari-Reklame.
Als sie aufstand, um zum Klo zu gehen, wehte eine Parfümwolke über den Tisch zu ihm herüber, Limone mit einem Hauch Kokos. Sie trug wieder diese Cowboystiefeletten, die bei diesem Wetter recht warm sein mussten. Das Nietenband um die Stiefel sah aus wie ein kleiner Patronengürtel. Irgendwie hatte sie einen seltsamen Gang. Selina, die Tochter des Lackmillionärs folgte ihr.
Als die beiden zurückkamen, berührte Franca ihn wie aus Versehen unterm Tisch mit dem Bein. Vielleicht war es ja tatsächlich reiner Zufall. Ihr Kokosduft war jetzt noch intensiver und ihre Augen wirkten noch ein bisschen dunkler. Es lag vor allem wohl an der deutlichen Vergrößerung der Pupillen. Sie sah Harry an. Doch dabei blickte sie durch ihn hindurch, als wolle sie gleich mit ihm aus dem Raum schweben. War ihr Oberhemd noch einen Knopf weiter geöffnet? Allzu offensichtlich mochte er ihr auch nicht in den Ausschnitt starren, in dem jetzt ein dunkelfarbiger BH zu erkennen war.
»I wanna show you my studio« , hauchte sie ihm ins Ohr. »Mein Atelier liegt auf der Giudecca in einer alten Werft«, fuhr sie fort. »Dort wird es dir gefallen.«
»Das würde mich sehr interessieren«, antwortete Harry ganz automatisch, ohne zu überlegen. »Arbeitest du dort in den nächsten Tagen?«
Im selben Augenblick fragte er sich selbst, ob er wirklich so blauäugig war. Britt Benning neben ihm guckte skeptisch. Das spürte er, ohne sie anzusehen. Er zündete sich eine Chesterfield an.
»I show you my studio tonight« , sagte sie und sah dabei unwiderstehlich durch ihn hindurch. Sie kramte in ihrem Handtäschchen und zog eine kleine Dose heraus.
»Francesca, meine Süße, nun lass unseren New Yorker erst mal seinen Jetlag ausschlafen.« Britt Benning ließ die Augenbrauen zucken. Aber sie wirkte jetzt irgendwie müde. Auf einmal sah Harry am Hals und um den Mund herum die Falten einer durch etliche Diäten schlank gehungerten Mittfünfzigerin.
Die Schießerei im Fernsehen war vorbei. Gerade steckte John Wayne einem anderen einen Sheriffstern an. Beat und Doris waren in ein intensives Gespräch über die Biennale vertieft.
»Wenn du müde bist, nimm dies.«
Halb unter dem Tisch hielt Franca ihm die Dose hin, in der sich ein bräunliches Pulver befand. Darin lagen mehrere kleine Brocken, die aussahen wie kleine, kaum einen Zentimeter große Schokoladentrüffel.
Weitere Kostenlose Bücher