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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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überhaupt etwas zu sehen. Harry machte ein paar Schritte auf das seltsame Etwas zu und wurde durch das hereinfallende Mondlicht fast geblendet. Aber jetzt erkannte er auf einmal einen Fuß, einen Fuß in einem leichten italienischen Slipper.
    Was, verdammte Scheiße, ist das?, fragte er sich.
    Harrys Magen krampfte sich zusammen. Was er da sah, erinnerte ihn an einen menschlichen Körper. War das vielleicht so eine Plastik wie diese Alltagsfiguren des Popartkünstlers Duane Hanson, diese hyperrealistischen Putzfrauen oder Penner mit Einkaufswagen, die auf einmal wie ein Museumswächter zwischen den Bildern sitzen und dem Besucher einen richtigen Schrecken einjagen können.
    Harry fragte sich, ob er immer noch unter dem Einfluss der Hawaiianischen Holzrose stand. Aber wie eine Halluzination sah der Typ ganz und gar nicht aus, Zögernd ging Harry näher heran. Der Mann lag auf dem Bauch, der Kopf war zur Seite gedreht. Das Ohr, das halb aus dem verklebten Haar herauslugte, war blutverschmiert. Mitten auf der Stirn seines bleichen großflächigen, reichlich aufgedunsenen Gesichts hatte der Dicke ein unschönes kleines Loch. Hier war kein Blut zu sehen, nur eine dunkle Öffnung, die an den Rändern leicht ausfranste. Das sah gar nicht gut aus. Eine fette Fliege flog von dem hässlich düsteren Einschussloch auf.
    Draußen auf dem Kanal war ein vorbeifahrendes Motorboot zu hören. Über die Marmorwulste der monumentalen Skulpturen flog ein Lichtreflex. In der Fensterfront zum Kanal sah Harry plötzlich sein geisterhaftes Spiegelbild, und er bemerkte, dass er vollkommen nackt war. Er stand hier splitternackt mit einem Toten zu seinen Füßen. Eben hatte Harry noch geschwitzt, aber jetzt war ihm bitterkalt.
    Als er sich ein Stück zu der korpulenten Gestalt hinunterbeugte, hatte er das Gefühl, dass der Typ ihn ansah. Es war tatsächlich wie bei einer Hanson-Figur. Harry wurde übel. Das kalte Wasser, das er in sich hineingeschüttet hatte, lag ihm schwer im Magen, als hätte ihm dort jemand hineingeschlagen. Er war kurz davor, sich zu übergeben. Aber dann musste er nur rülpsen.
    Mit erstauntem Gesichtsausdruck starrte der Tote Harry an. Dass ihm jemand eine Kugel mitten in den Kopf gejagt hatte, damit hatte er offenbar nicht gerechnet. Die Augen waren weit geöffnet und blutunterlaufen. Sie traten unnatürlich und ausdruckslos aus den Augenhöhlen heraus. Die Fliege, die in dem spärlichen Licht vielfarbig schillerte, zog schnelle brummende Kreise über dem Kopf des Toten und stürzte sich dann zielstrebig auf sein blutig verklebtes Ohr.
    Harry stieß den Mann mit seinem nackten Fuß vorsichtig an. Die Fliege flog auf. Aber der Kerl reagierte nicht. Seine Gliedmaßen wirkten steif. Er hatte längere pomadige Haare, war unrasiert und trug ein limonengrünes Leinenjackett über einem schlabbrigen Poloshirt. Beide Kleidungsstücke waren etwas nach oben gerutscht, sodass seine dicken Hüften und der Bauch seitlich hervorquollen. Die schwarze Bundfaltenhose hing unter seiner Wampe. Seine Haut war kalkweiß, gesprenkelt mit blauvioletten Totenflecken, die an einigen Stellen zusammengelaufen waren. Um seinen breiten Hals trug er mehrere Goldkettchen. Seine für die massige Statur erstaunlich filigranen Slipper waren restlos mit weißem Staub überpudert. Harry lief es kalt den Rücken herunter. Vielleicht sollte er sich jetzt auch erst mal was überziehen.
    Er konnte es nicht fassen. Hier lag eindeutig ein Toter. Ging denn das schon wieder damit los, dass ihm, sobald er nur daran dachte, ein Bild zu klauen, die Toten nur so vor die Füße purzelten? Hatte die Gestalt hier vorhin auch schon gelegen, als Franca und er sich vor den Skulpturen geküsst hatten? Es war durchaus möglich. Sie hatten an der anderen Seite des Gerüstes gestanden. Harry hatte die Plastiken begutachtet, und vor allem hatte Francesca seine ganze Aufmerksamkeit gefordert. Harry beugte sich noch einmal zu dem Toten hinunter. Er sah tatsächlich wie eine Duane-Hanson-Figur aus, nur nicht so echt. Irgendwas war mit dessen Hand. Dann sah er es: In dem steifen, halb gekrümmten Zeigefinger des Italieners steckte eine Nadel mit einer grün leuchtenden Glasscherbe. Sie sah aus wie ein Schmuckstück, wie eine dieser Anstecknadeln. Der Finger mit der Nadel zeigte starr auf ihn. Abrupt richtete sich Harry wieder auf, ihm war jetzt speiübel. Sein Puls hämmerte dumpf in der Halsschlagader.

8
    Als das Klopfen an der Zimmertür lauter wurde, schreckte er aus tiefem

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