Venedig sehen und stehlen
miteinander bekannt.
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, sagte sie.
»Ich hoffe nur Gutes.« In Zoes Beisein wurde der Lateinlehrer gleich etwas lockerer.
Sie lächelte, wobei sie ein kleines bisschen ihre Zähne zeigte. »Harry hat mir erzählt, Sie sind nicht nur ein Kunstkenner, sondern auch schon ein echter Venezianer.«
Die Bemerkung reichte, um bei Giovanni-Dieter alle Schleusen zu öffnen. Er setzte zu einem nicht enden wollenden Vortrag über die Malerei der venezianischen Renaissance an, kurz unterbrochen von einer Suada über das italienische Klempnerwesen.
Auf der Dachterrasse erklärte er ihnen die Türme, Kirchen und Paläste.
»Und dort hinten ist die Scuola Grande di San Rocco zu sehen. Waren Sie schon da? Haben Sie den Saal mit den Spiegeln und den phantastischen Deckenbildern von Tintoretto schon besichtigt? Incredibile! «
Harry sagte gar nichts mehr. Aber als Zoe verneinte, legte Hans-Dieter erst richtig los.
»Die scuole waren Bruderschaften, die oft sehr wohlhabend waren und sich für die Künste einsetzten. Eigentlich ganz ähnlich, wie wir es jetzt mit unseren ›Amici dei musei di Venezia‹ machen.«
Zoe blinzelte in die Morgensonne, während der Lehrer aus der Lüneburger Heide weiter über die Scuola von San Rocco referierte, die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts einen Wettbewerb für die Ausgestaltung ihrer Sala dell’Albergo öffentlich ausschrieb. Statt der geforderten Skizzen lieferte Tintoretto gleich das erste Ölbild. Er erhielt den Auftrag und schuf für die Scuola von San Rocca in den folgenden zwanzig Jahren ein Meisterwerk nach dem anderen.
»Oh, really?« , sagte Zoe, als ob sie es wirklich kaum glauben konnte.
Sie wirkte an diesem Morgen hier in Europa auf einmal herrlich amerikanisch. Harry musste innerlich grinsen. Aber in Gedanken war er schon im Guggenheim-Museum.
»Harry, listen, that’s really interesting. « Zoe stieß ihn an.
Nachdem sie Giovanni-Dieter endlich verabschiedet hatten, machten sie sich zu Fuß auf zum Guggenheim-Museum. Sie nahmen bei Santa Sofia das Traghetto und durchquerten den Stadtteil San Polo an der Frari-Kirche vorbei, Richtung Accademia und Salute. Harry zeigte ihr sofort den Miró und den Giacometti.
Sie sahen sich in aller Ruhe die Calder, Picassos, Dalís und de Chiricos an. Zwischendurch rauchte Harry auf der Dachterrasse eine Zigarette. Die grandiose Aussicht auf den Canal Grande konnten sie nicht recht genießen, denn sie malten sich schon aus, wie sie nachts mit einem Boot am Steg der Villa anlegten. Sie mussten vom Wasser kommen, beziehungsweise über das Wasser abhauen, da waren sie sich sofort einig. Wie das genau funktionieren sollte, war ihnen noch nicht klar. Zoe blickte zu der Marino-Marini-Plastik des Reiters mit dem erigierten Penis hinunter, die mitten auf dem Treppenaufgang stand, der zum Kanal hinunterführte. Sie musste lachen und zeigte dabei endlich wieder ihre vorstehenden Schneidezähne, das erste Mal, seitdem sie in Venedig war. Mit der Kurzhaarfrisur und der Sophia-Loren-Sonnenbrille sah das richtig toll aus, fand Harry.
Zoe stattete der Damentoilette einen ausführlichen Besuch ab und entdeckte unter dem Waschbecken einen Einbauschrank, in dem ein paar Putzmittel standen. Die Fenster führten zur ruhigen Seitenfront des Gebäudes. Sie maß die Abstände zwischen den Fenstergittern aus.
»Ein gerolltes Bild würde hindurchpassen«, flüsterte sie Harry zu. »Den Miró müssen wir ohnehin aus dem Rahmen trennen.«
»Im Museumsshop habe ich Plastikröhren für Plakate gesehen«, sagte Harry. »Zu eng dürfen wir das Ölbild nicht rollen. Aber es müsste gerade gehen.«
Wie sie mit dem Gemälde umzugehen hätten, war ihnen im Großen und Ganzen klar. Nur mit dem Giacometti mussten sie sich noch etwas einfallen lassen. Oder sollten sie sich den einfach aus dem Kopf schlagen? Doch je öfter Harry das Museum besuchte, desto mehr begeisterte er sich für die »Stehende Frau«. Und die Sicherheitsvorkehrungen wirkten nicht so furchterregend, dass sie die Bronze nicht irgendwie aus der Guggenheim-Villa herausbekommen sollten.
Als sie das Museum verließen, sahen sie das Plakat für eine Veranstaltung, die im Rahmen der Biennale in drei Tagen in der Guggenheim-Foundation stattfinden sollte: »Alarme Rosso – Installation für Sopran, Schlagzeug, Blechbläser und fünf Motorsirenen«. Harry und Zoe sahen sich an. Sie hatten beide dieselbe Idee.
Mittags aßen sie beim Guggenheim gleich um die
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