Venedig sehen und stehlen
Kneipe verließ, rief sie ihm mit heiserer Stimme hinterher: »Heute Nacht lass ich dich schlafen. Aber ich bin noch nicht fertig mit dir.«
Er hatte ein reichlich ungutes Gefühl, als er die alten Steintreppen in den obersten Stock hinaufstieg.
»Harry, wo kommst du her?«, Zoe saß aufrecht im Bett. Ihre blonde Kurzhaarfrisur war leicht zerstrubbelt, sodass sie fast punkig aussah. Harry hätte sie am liebsten einfach in den Arm genommen. Aber irgendwie traute er sich nicht.
»Mir w-war auch nicht so ganz gut nach dem Essen«, stotterte er. »Ich musste einfach noch mal raus.« In diesem Augenblick fühlte er sich tatsächlich hundeelend.
»Harry, was ist los mit dir? Was erzählst du mir da für einen Mist?« Zoe guckte recht ungnädig. »Wer war diese Frau?«
Verdammt noch mal, sie hatte mitbekommen, dass Franca hier vor der Tür gestanden hatte. Sie hatte ihn und Franca gehört oder sogar vom Fenster aus gesehen. Harry hatte keinen Schimmer, was er ihr erzählen sollte.
Sollte er ihr die Nacht mit Francesca beichten? Und auch gleich noch die Geschichte mit dem toten Carlo?
Harry überlegte nur den Bruchteil einer Sekunde und traf eine Entscheidung:
Er erzählte Zoe alles. Bei seiner Eskapade mit Franca allerdings fasste er sich kurz und verzichtete auf Details. Er schob alles auf die Wirkung der Hawaiianischen Holzrose. Die Sache mit dem toten Großgondoliere dagegen schilderte er, auf der Bettkante sitzend, in allen Einzelheiten. Zoe saß ganz still im Bett und schaute ihn einfach nur an. Als Harrys Geschichte zu Ende war, kam wieder Bewegung in sie. Zuerst war Zoes Tonfall verdächtig leise.
»I don’t believe that. «
Im nächsten Moment schrie sie ihn an. »Ich reise das erste Mal in meinem Leben nach Europa. Ich freue mich auf dich und dieses Museum, dieses Scheiß … dieses Guggenheim …« Sie war außer sich. »… und dir scheint das alles überhaupt nichts zu bedeuten. Du hast kaum New York verlassen und schon hast du nichts Besseres zu tun, als es hier. es ist nicht zu fassen!«
»Zoe, das stimmt doch nicht.« Er versuchte sie zu beruhigen.
Doch Zoe wollte sich aufregen, machte ihm heftigste Vorhaltungen und schlug empört immer wieder auf die Bettdecke ein.
»Am besten, ich erkundige mich gleich morgen früh nach den Flügen zurück nach New York«, drohte sie schließlich.
Aber irgendwann wurde sie müde. Sie schmiss Harry von der Bettkante, drehte sich von ihm weg und stellte sich schlafend. Harry legte sich für ein paar Stunden auf das Rokokosofa mit Blick auf Hans-Dieters Glastier-Kollektion. Er konnte lange nicht einschlafen, das Sofa war eng und unbequem. Schließlich quälte er sich wieder hoch, taperte ins Schlafzimmer und legte sich zu der schlafenden Zoe ins Bett, die in ihrem »Tonight’s-the-Night«-Shirt leise schnorchelte.
11
Am nächsten Morgen sah Zoe immer noch bemüht an Harry vorbei. Für eine Weile wollte sie noch sauer sein. Aber es funktionierte nicht mehr so richtig, das merkte er. Nach einem ersten italienischen Espresso aus der traditionellen achteckigen Alukanne sprach sie sogar schon wieder ein paar Worte mit ihm. Und nach einem heiß-kalten Wechselbad aus dem defekten Gasboiler durfte er ihr einen flüchtigen Kuss auf den Nacken drücken.
»It’s unbelievable, Harry, sag doch selbst. Du bist einen Tag in Europa und schon mitten in einen Mordfall hineingerutscht.« Eingehüllt in ein großes Handtuch schlürfte sie auf der Dachterrasse mit Blick auf das morgendliche Venedig ihren Kaffee.
»Und dass diese Frau genauso aussieht wie ich, find ich nicht besonders komisch.« Sie schien sich noch einmal in Rage reden wollen, wurde aber von dem plötzlichen Surren der Klingel unterbrochen. Gott sei Dank war es nicht schon wieder Franca, sondern der Klempner, der nach dem defekten Gasboiler sehen wollte. Harry fiel ein Stein vom Herzen.
»Azienda Brizzi«, stellte er sich kurz vor. Der Namenszug »Brizzi« stand auch gelb auf seinem blauen Overall. Die Punkte auf den beiden »I« hatten die Form von Gasflammen.
Er stellte seine Werkzeugtasche auf den durchgetretenen Teppich und machte erst mal Frühstück. Er holte ein mit Mortadella belegtes Panino heraus, trank den angebotenen Kaffee und rauchte eine von Harrys Chesterfields. Nach einem kurzen Blick auf den Boiler stellte er fest, dass ihm das entscheidende Ersatzteil fehlte, und er verabschiedete sich wieder.
Beim nächsten Klingeln kurz darauf stand Hans-Dieter vor der Tür. Harry machte ihn und Zoe
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