Venedig sehen und stehlen
unschöne Neuigkeiten«, meckerte der Lateinlehrer wichtigtuerisch und ließ währenddessen seinen Blick durch die Wohnung schweifen.
»Die Polizei hat unsere Freundin Francesca vorgeladen. Der Vermieter ihres Ateliers ist tot auf einem brachen Industriegelände auf der Giudecca gefunden worden. Ein gewisser Carlo Materazzi. Ich hab ihn gekannt. Incredibile! «
»Giovanni ist ganz geschockt«, sagte Roberto mit einem Augenaufschlag und fuhr sich mit den Fingern durch das gewellte Haar. »Er war ein ganz ungehobelter Kerl. Aber so etwas wünscht man ja seinem schlimmsten Feind nicht.«
Auch Harry wusste nicht, was er sagen sollte. Damit hatte er zu diesem Zeitpunkt nun wirklich nicht gerechnet. Wie hatte man den toten Carlo so schnell finden können? Es war gerade mal drei Tage her, dass Franca und er ihn im »Molino Stucky« unter die Erde gebracht hatten. War das ein Zufall? Oder waren sie beim Abtransport der Leiche vielleicht doch von jemand anders beobachtet worden?
»Ich traue der Frau ja alles zu. Es wäre nicht der erste Mann, den sie auf dem Gewissen hätte.«
Hans-Dieter tat sehr wichtig und schien es regelrecht zu genießen, Harry zu schockieren. Dabei wanderte sein Blick fortwährend durch den Raum – hoffentlich nicht auf der Suche nach seinem Murano-Karpfen, wie Harry befürchtete. Der schöne Roberto wickelte inzwischen gelangweilt mit dem Zeigefinger seine langen Haare auf.
»Möglicherweise hat sie auch einen Komplizen gehabt«, sagte Giovanni-Dieter. »Sie hat die Männer schon immer ausgenutzt, Signor Harry.«
Jetzt fixierte er ihn auf einmal durchdringend. Harry wurde immer unsicherer. Wusste dieser neunmalkluge Oberlehrer etwas? Das konnte eigentlich nicht sein. Franca und er waren sich spinnefeind. Von ihr hatte er kaum etwas erfahren.
Diese »Amici dei musei« wurden ihm allmählich wirklich etwas lästig, denn der Besuch von Giovanni und Roberto blieb nicht der einzige an diesem Tag. Kurz vor Mitternacht surrte die Handklingel noch einmal.
Zoe und er waren bester Laune vom Essen zurückgekommen. Vorher hatten sie den Stadtteil erkundet. Sie waren über den Campo di Ghetto Nuovo gelaufen, das Zentrum des jüdischen Viertels in Venedig, das allen anderen europäischen Ghettos den Namen gegeben hat. Auch wenn seine Freundin keine gläubige Jüdin war, ihn berührte es, mit Zoe Lieberman im venezianischen Ghetto die Synagoge zu besichtigen.
Danach zeigte er ihr, was ein Sprizz ist. Dass er das selbst erst seit drei Tagen wusste, erzählte er ihr nicht. Sie nahmen ihren Aperitivo in einer kleinen Bar an den Fondamenta della Misericordia. Die meisten der jungen Leute standen mit ihren Gläsern draußen am Kanal. Dazu gab es ein paar kleine cicchetti mit fegato und baccala, mit Leber und Stockfisch. In einem Fernseher über der Bar sah er die letzten Bilder eines Berichtes über den Mord an Großgondoliere Carlo. Harry meinte den Namen Carlo Materazzi und die Worte »speculatore« und »immobili« zu verstehen. Er erkannte auch das Gelände vom »Molino Stucky« wieder. Der dicke Carlo kam nicht ins Bild, nur eine Blechwanne, die von Sanitätern getragen wurde. Im Anschluss wurden sehr viel ausführlicher die Spieler von Inter Mailand im Training gezeigt.
Zum Dinner gingen Harry und Zoe ein paar Häuser weiter ins »Antica Mola«, ein unprätentiöses, traditionelles Restaurant. Es war durch und durch venezianisch und glücklicherweise, auch was die Preise betraf, das glatte Gegenteil vom »Alle Testiere« vorgestern.
Sie saßen im Hintergarten des Lokals unter einer Pergola aus Glyzinien und einer Lichterkette auf weißen Plastikstühlen. Am Nebentisch saß eine englische Familie mit zwei gelangweilten Töchtern, die an dem Fischgericht herummäkelten und für die die ganze Venedigreise sowieso eine Zumutung zu sein schien. Harry aß polpo nero, in seiner eigenen Tinte gekochten Tintenfisch, und Zoe sarde in saor.
Die mit Zwiebeln sauer eingelegten Sardinen lösten bei ihr einen Sturm der Begeisterung aus. Dazu tranken sie offenen Prosecco aus einer großen Glaskaraffe. Er erzählte ihr von den Kunstfreunden, von der dichtenden Doris, von Britt Benning, die sie natürlich nicht kannte, obwohl sie einen Film mit Roger Moore gedreht hatte, und von Giovanni-Dieter, dessen Wohnung sie gemietet hatten. Nur von Franca erzählte er ihr nichts.
Sie waren kaum zurück in der Wohnung an den Fondamenta del Trapolin, da stürzte Zoe auf die Toilette und musste sich über der Kloschüssel
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