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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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kennengelernt, eine kleine dürre Dame mit violetten Haaren und einer schweren Brille mit goldenen Applikationen. Sie war eine dieser älteren Damen, die sich mit aller Kraft gegen die Umstellung auf bequemeres Schuhwerk wehrten. Als sie Harry auf viel zu hohen Absätzen, die eine Hand krampfhaft am Geländer, in der anderen ein prall gefülltes Einkaufsnetz mit Thunfischkonserven im Treppenhaus entgegenzitterte, bot er ihr in Zeichensprache seine Hilfe an und trug ihr den Einkauf eine Etage höher. Jeden Nachmittag zur selben Zeit, gegen fünf, ging bei Signora Schillaci der Fernseher an. Es kam ihnen vor, als würde sich der Fußboden ein Stück heben, wie bei einem Lautsprecher, wenn die Basstöne einsetzten. Die Werbejingles und Gongs der Spielshows waren unüberhörbar, aber die Fragen konnten Harry und Zoe nicht verstehen.
    Ab und zu ging auch die Türklingel. Es war Giovanni-Dieter oder der Klempner, der diesmal das Ersatzteil dabeihatte, aber nicht die passende Zange. Dann hatte ihm Franca mehrmals eine Nachricht vor die Tür gelegt. Er und Zoe waren zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise nie da gewesen. Harry verabredete sich einmal mit ihr in der Stadt, um zu verhindern, dass sie in der Wohnung aufkreuzte, Zoe begegnete und ihm zu nah auf die Pelle rückte.
    Es war kein angenehmes Treffen. Francesca bedrängte ihn regelrecht. Und Harry wusste nicht recht, wie er sich ihrer erwehren sollte. Die frappierende Ähnlichkeit mit der früheren Zoe irritierte ihn zunehmend.
    »Harry, caro, so kommst du mir nicht davon.« Sie funkelte ihn aus ihren dunklen Augen an, deren Pupillen jetzt deutlich kleiner waren. »So einfach lass ich meine Männer nicht gehen.«
    Sie drohte ihm, seine Komplizenschaft bei der Entsorgung des guten Carlo zu verraten.
    »Kann durchaus sein, dass ich dich da als Zeugen brauche«, sagte sie süffisant und versuchte immer wieder ihn zu küssen.
    Diese Frau war verrückt. Da hatte Hans-Dieter recht. Und eine Erpresserin war sie auch. Aber eine Mörderin? Die Polizei schien jedenfalls davon auszugehen. Er wünschte, es hätte diese Nacht mit Franca nie gegeben. Nicht nur wegen Zoe, Franca drohte auch, Harrys und Zoes schönen Guggenheim-Coup zu gefährden. Irgendwie musste er diese Frau loswerden. Aber wie?
    Harry verdrängte das Problem erst mal. Er ließ die Dinge lieber auf sich zukommen. Wenigstens hatte Zoe sich mit ihm versöhnt. Trotz ihres riskanten Vorhabens verlebten sie entspannte Sommertage mit zahlreichen Museums- und gelegentlichen Klempnerbesuchen. Und sie machten Witze über den Glaskarpfen. Einmal schreckte Zoe Harry mit dem in allen Regenbogenfarben schillernden Glasmonster aus dem Schlaf, ein andermal ließ sich Harry nackt auf dem hässlichen Sofa mit ernster Künstlermiene und Koi fotografieren.
    »Quiet days in Cannaregio« , lachte Zoe mit ironischem Blick und zog Harry zu dem durchgelegenen Bett mit dem schmiedeeisernen Rückengitter hinüber. Währendessen gurgelte auf dem Gasherd der Espresso vor sich hin. Anschließend hörten sie über den Dächern von Venedig »Albuquerque« und bildeten sich dabei ein, in jedes Museum der Welt einsteigen zu können.
    Zum Aperitif aßen sie polpetti vor der kleinen Weinbar »Al Marca« auf dem Campo Battisti gleich beim Fischmarkt um die Ecke, und abends wollte Zoe ins »Antica Mola«.
    »Darling, wie viele von diesen Sardinen willst du eigentlich essen«, sagte Harry. »Kein Wunder, dass dein Magen revoltiert.«
    Einen Teil der Zeit verbrachte er damit, eine Figur zu modellieren, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Giacomettis »Stehender Frau« hatte. Harry hatte einen Holzfuß und ein Metallskelett gebaut. Dann hatte er aus Mehl, Wasser, Öl, Salz, Farbe und Kalialaun, das er in der Apotheke in Castello besorgt hatte, mit dem Küchenmixer eine Modelliermasse zusammengerührt. Man nannte das »Clay«, ein Industrieplastilin, wie es auch bei Modellen im Autodesign verwendet wurde. Die Rezeptur erinnerte er noch vage aus dem Studium. Er modellierte nach einer Postkarte und aus dem Gedächtnis. Dafür wurde die Plastik gar nicht mal schlecht.
    »Auch die Oberfläche sieht ziemlich echt aus«, fand Zoe. »Man darf nur nicht zu nahe herangehen.«
    »Was erwartest du? Es ist keine Bronze, sondern Plastilin.«
    »Aber Harry, der verdammte Fuß ist immer noch zu klein.«
    Die Arbeiten an der Plastik gingen gut voran. Nur jedes Mal, wenn die Klingel an der Wohnungstür zu hören war, musste die falsche »Stehende« hastig in der

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