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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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fingierte Nachricht aus Venedig weggelockt. In Hans-Dieters Namen hatte er ihr ein Telegramm zukommen lassen, in dem er ihr signalisierte, dass dieser auf ihre Erpressung eingehen wollte und ein dringendes Treffen vorschlug: APPUN-TAMENTO URGENTE!
    Nur diese beiden Worte, die er in seinem Wörterbuch nachgeschlagen hatte, diktierte Harry der Frau im Telegrafenamt, außerdem die Uhrzeit, einundzwanzig Uhr dreißig, und die Adresse einer betriebigen Bar in Mestre, eines üblen Schuppens im Industrieviertel, den Zoe nach ihren Einkäufen dort ausfindig gemacht hatte. Er war sich eigentlich sicher, dass Franca Giovanni-Dieter erpresste und auf dieses Treffen eingehen würde. Offenbar hatte es tatsächlich geklappt. Francesca war auf dem Weg nach Mestre. Und bis sie herausbekam, dass sie ganz umsonst dorthin gefahren und anschließend wieder nach Venedig zurückgekehrt war, wären Harry und Zoe mit ihren Umräumarbeiten längst fertig.
     
    Die Veranstaltung im Guggenheim sollte mit dem Einbruch der Dunkelheit um einundzwanzig Uhr beginnen. Vorher hatte sich das Publikum auf der Dachterrasse der Villa, von der man einen fantastischen Blick hatte, versammelt. Die edlen Palazzi gegenüber am Canal Grande lagen aufgereiht im letzten warmen Abendlicht, der Palazzo Corner, die Vaporetto-Station Santa Maria del Giglio, der Palazzo Gritti. Ein Stück weiter schimmerte der Markusdom herüber. Aus dem Raum von unten drangen immer mal wieder ein kurzes Schlagzeuggeräusch und ein schriller Sirenenton nach draußen, der aber sofort wieder abbrach.
    Einige letzte Sonnenstrahlen beleuchteten einzelne Gesichter der Besucher. Aus grauen Locken leuchtete irgendwo das auffällig rote Gestell einer übertrieben dicken Hornbrille heraus. Und bei einer Frau neben sich sah Harry die Ränder des zu dick aufgetragenen Make-ups, die durch das letzte Tageslicht unbarmherzig ausgeleuchtet wurden. Ein Mann in Windjacke, mit Herrenhandtasche und tief liegendem Scheitel, der eigentlich nicht danach aussah, als hätte er für Klanginstallationen viel übrig, machte ein Foto von einer vorbeifahrenden Gondel mit kichernden Japanern.
    Und noch etwas anderes fiel Harry auf. An etlichen der Kleider der versammelten Gäste, an Schals und Revers der Anzugjacken funkelten die kleinen Glasanstecker aus der Werkstatt des schönen Roberto, kleine Würfel, Tropfen und Schlangen aus Glas. Es war wie das Abzeichen eines geheimen Bundes. Es sah eigentlich ganz hübsch aus. Aber nach seiner nächtlichen Begegnung mit dem toten Großgondoliere waren Harry diese Nadeln unheimlich geworden. Und noch etwas ließ ihn kurz schaudern. Der Einzige der Kunstfreunde, der keinen Anstecker hatte, war Giovanni-Dieter. Aber sicher hatte das nichts zu bedeuten. Vermutlich hatte er seine Anstecknadel einfach vergessen. Harry wischte den Gedanken energisch beiseite. Er musste sich jetzt dringend um wichtigere Dinge kümmern.
    Harry und Zoe hatten bereits einen arbeitsreichen Tag hinter sich gebracht. Mit dem far niente war es erst mal vorbei. Kunstdiebstahl im sommerlichen Venedig konnte richtig schweißtreibend sein. Sie hatten nicht nur Harrys Gipsbein modelliert. Gegen Mittag hatten sie dem Museum einen erneuten Besuch abgestattet. Im Postkartenshop hatten sie ein Picasso-Plakat und eine gelbe Kunststoffrolle erstanden. Die Plastikrolle hatten sie zusammen mit einem wasserfesten Klebeband, Zange, zwei Teppichmessern, einem schwarzen Seil, einer größeren Kunststofffolie, Baumwollhandschuhen und der roten Kröte aus Hans-Dieters Muranoglas-Sammlung in dem Schränckchen unter dem Waschbecken der Damentoilette zurückgelassen. Dann hatte Zoe noch das schnelle An- und Ausziehen eines schwarzen Overalls trainiert und war durch Giovannis Wohnung auf und ab gehinkt.
    »Nicht übertreiben«, hatte Harry gesagt. »Bitte nicht schauspielern.« Gleichzeitig hatte er versucht, die ersten Schritte mit dem Gehgips zu machen. Zoe hatte sich dabei königlich amüsiert.
    »Ich bin schon wahnsinnig gespannt«, sagte Britt Benning, als sich die Gesellschaft von der Terrasse in den Zuschauerraum im Inneren der Villa begab.
    »Yeah, wir auch«, gab Zoe mit dem Ton der Überzeugung zurück und grinste Harry an.
    Die Veranstaltung fand in der ehemaligen Bibliothek der Villa statt. Die Bilder in dem Raum waren abgehängt worden. Es waren mehrere de Chiricos, Max Ernsts und zwei weitere Mirós, wenn Harry das richtig in Erinnerung hatte. Er hatte in den letzten Tagen nur Augen für die »Sitzende« und

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