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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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hineinragte.
    Bäuchlings auf den Planken liegend machte er das freie Ende des Kunststoffseils an einem der Pfähle der Anlegestelle fest. Er schlang das Tau zweimal um den Holzdalben und schob die Schlinge dann mit einiger Mühe ein paar Zentimeter unter die Wasseroberfläche. Dort war sie nicht mehr zu sehen, zumindest jetzt in der Nacht nicht. Und sie saß recht fest, hatte Harry das Gefühl.
    Jetzt kam der entscheidende Moment. Für einen Augenblick hielt er inne. Er stippte den verpackten Miró zunächst vorsichtig ins Wasser, dann ließ er die am Seil hängende Plastikröhre behutsam ins Wasser gleiten. Das Paket sackte langsam, aber zügig nach unten. Die rote Murano-Kröte aus Giovanni-Dieters Horrorkabinett leistete gute Dienste. Die »Sitzende Frau« war zu Wasser gelassen. Nur ein paar Bläschen, die in der Nähe des Pfahls aus dem dunklen Wasser perlten, beunruhigten Harry etwas. Sollte Zoe die Rolle nicht hundertprozentig abgedichtet haben? Die Brühe aus dem Kanal durfte auf keinen Fall an das Bild kommen.

14
    Die Veranstaltung schien kein Ende nehmen zu wollen. Der Typ in der Werkzeugweste und vor allem der Kamikazeflieger waren jetzt erst richtig in Schwung gekommen. Die rote Lampe auf dem schwarzen Kasten blinkte ununterbrochen und das Telefon hörte gar nicht wieder auf zu klingeln. Nur die Sängerin zeigte erste Ermüdungserscheinungen.
    Harry saß schon wieder eine ganze Weile auf seinem Stuhl zwischen Zoe und Doris. Das echte Alarmsignal schien verstummt zu sein, dafür hörte er seit einigen Minuten diverse Leute im Museum umherlaufen. Zoe und Harry sahen sich an. Den anderen schien das gar nicht aufzufallen. Etwa vor einer Viertelstunde meinte er, ein Boot an dem Steg zum Canal Grande anlegen zu hören. Und er war sich sicher, auch kurz ein blaues Blinklicht gesehen zu haben. Kurz vorher war noch einmal der nette ältere Wachmann in dem Durchgang zum Flur erschienen. Der Diebstahl war also inzwischen bemerkt worden. Statt des Museumswächters postierte sich jetzt ein Polizist in dem Ausgang des Raumes, ein kleiner, dicker, nicht mehr ganz junger Mann in einer blauen Uniform mit einem weißen Gurt quer über die Brust und roten Streifen an der Hosenbeinnaht. Ohne sichtbare Gefühlsregung sah der Ispettore dem Treiben in der Bibliothek zu, wo der Kamikazeflieger inzwischen völlig außer Rand und Band geraten war und wütend mit zwei Hämmern auf den Blechkanister und die Überreste der Keramikscherben einschlug. Nur wegen eines schnöden Diebstahls wollte man die Performance nicht unterbrechen. Die Kunst ging eben vor in der Serenissima.
    Von dem Krach war sogar der Typ mit dem tiefen Scheitel und der Herrenhandtasche wieder wach geworden. Verständnislos starrte er die dürre Sängerin an.
    »Geht es Ihnen wieder besser, Zoe?« Doris streckte ihren runden Kopf zu ihr hinüber, soweit dies bei ihrer geringen Körpergröße überhaupt möglich war.
    »Yeah, fine. «
    »Schön«, hauchte Doris mit sanfter Stimme zurück.
    Harry musste sich zwingen, nicht zu oft zum Fenster zu sehen. Der Betrieb auf dem Bootssteg hatte ihn doch etwas nervös gemacht. Er hoffte nur, dass die Plakatrolle unter Wasser bleiben würde. Irgendwie traute er Zoes Verpackungskünsten nicht so ganz. Aber die rote Murano-Kröte würde es schon richten.
    Nach einem Crescendo von Signalhörnern, Posaune und klingelndem Telefon brachen alle Töne abrupt ab. Das Publikum applaudierte. Die drei Künstler verließen ihre angestammten Plätze und verbeugten sich, wozu der Bärtige seinen Bauhelm kurz abnehmen musste. Der Japaner lächelte. Aber die bleiche Sopranistin und der Typ mit der Werkzeugweste blickten noch finsterer als vorher, als wollten sie dem Publikum ihre Verachtung ausdrücken.
    »Grandios!«, rief der Österreicher mit der Riesenhornbrille. »Ein genialer Kommentar zur Hysterie und Paranoia des modernen Kunstbetriebs.«
     
    Während die Zuschauer noch applaudierten, betraten mehrere uniformierte Beamte und zwei Männer in Zivil Peggy Guggenheims Bibliothek. Der kleine Dicke in Uniform, der eine Weile schon in der Tür gestanden hatte, folgte ihnen. Der ältere der beiden stellte sich, nachdem der Applaus abgeebbt war, als Kurator der Guggenheim-Foundation vor. Er wirkte reichlich blass. Der andere war offensichtlich der leitende Kommissar, ein italienischer Schönling in einem dunkelblauen, leicht changierenden Anzug, unter dem er ein ebenfalls dunkles Sporthemd trug. Im offenen Kragen war ein Goldkettchen

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