Venedig sehen und stehlen
sichtbar. In einigermaßen passablem Englisch mit italienischen Akzent stellte er sich als Commissario Lompo vor und teilte den Anwesenden mit, dass während der Veranstaltung ein Kunstdiebstahl geschehen war.
»Bedauerlicherweise«, sagte er. »Sfortunatamente. «Dabei gestikulierte er mit beiden Händen.
»Furto aggravato« , fiel ihm der bleiche Kurator ins Wort und betonte überdeutlich jede einzelne Silbe. »Schwerer Diebstahl. Der Miró im Ostflügel!« Dabei sah er die Zuschauer vorwurfsvoll an, als wüsste er bereits, dass einer von ihnen das Gemälde von der Wand genommen hatte.
»Incredibile!«, meckerte Giovanni-Dieter »Neiiin!«, rief Britt so laut, dass es jeder hören konnte. »Unfassbar!« Sie machte wieder ein Gesicht, als wäre im »Derrick« der nächste Mord passiert.
Der schöne Roberto tuschelte mit Hans-Dieter.
»Ich bitte um Ihr Verständnis«, sagte der junge Comissario. Sein Gesichtsausdruck allerdings signalisierte, dass ihm das Verständnis der anwesenden Kunstfreunde eigentlich egal war.
»Uns wird hier ja richtig was geboten«, tuschelte Britt zu ihnen herüber. Die Schauspielerin fand offenbar Gefallen an der Situation.
»Ganz schön abenteuerlich«, gluckste Doris heimlich hinter vorgehaltener Hand.
Harry sah das weniger locker und Zoes Ohren leuchteten schon wieder bedenklich rot.
Bislang war nur von dem Miró die Rede gewesen. Der Tausch der Giacometti-Skulpturen war bisher offensichtlich nicht bemerkt worden. Gut so. Harry war trotzdem äußerst angespannt. Er war nervöser als während der Aktion selbst. Er sah Zoe prüfend an. Und die tat, als wäre nichts gewesen. Nur die Ohren verrieten sie.
»Ist irgendjemandem von Ihnen etwas aufgefallen?«, fragte der Commissario. »Hat jemand verdächtige Geräusche gehört?«
»Geräusche? Sie sind gut«, sagte die Frau mit der antiquierten Turmfrisur und der Stola in breitem Hamburgisch. »Pah! Wir hatten hier in den letzten zwei Stunden mehr Geräusche als uns lieb waren.« Angesichts des Dialekts bekam Harry unweigerlich heimatliche Gefühle.
»Das Happening geht weiter!«, rief der Wiener mit der Hornbrille jetzt überzeugt. »Großartig!«
»Na, mir reicht’s«, zischte die Turmfrisur spitz zurück.
»An Schearz, gnä’ Frau«, entgegnete der Grauhaarige besonders wienerisch.
»Ja ja«, sagte ihr Mann mit dem tief liegenden Scheitel, der noch mehr hamburgerte, knapp und stieß einen kurzen verlegenen Lacher aus.
»Leute gibt’s, also wirklich«, zischte die Norddeutsche in der Wollstola.
Britts Augenbrauen zuckten und Beat hielt den Kopf ausnahmsweise mal gerade. Nur Doris lächelte schon wieder, strich sich aber leicht nervös ihre kurzen Haare in die Stirn.
»Ich möchte Sie bitten, meinem Kollegen ihre Namen und Adressen zu hinterlassen. Damit wir sie hier in Venedig erreichen können«, sagte der italienische Kommissar, der auch nicht viel größer als sein Assistent war, aber grad mal die Hälfte auf die Waage brachte.
Im Raum wurde es jetzt unruhig. Der kleine dicke Beamte in Uniform flüsterte Commissario Lompo etwas Unverständliches auf Italienisch zu.
»Ich muss mit jedem von Ihnen kurz sprechen«, sagte der Kommissar. »Außerdem würden wir Ihnen gern noch ein Video zeigen, das die Kamera hier aufgezeichnet hat.«
»Mit Videos bin ich für heute versorgt«, protestierte die Frau der Herrenhandtasche. »Wir müssen zu unserer Reisegruppe.«
»Manche Leute machen ein Theater«, sagte Britt Benning laut. »Das ist doch selbstverständlich, dass man uns erst mal befragen muss.« Durch den Auftritt der Polizei fühlte sie sich offenbar in ihre Zeit als Krimischauspielerin zurückversetzt.
Die Leute redeten jetzt aufgeregt in allen möglichen Sprachen durcheinander. Englisch, Italienisch und verschiedene deutsche Dialekte. Auf einmal hörte Harry auch skandinavische Wortfetzen. Der Bilderdiebstahl elektrisierte die Leute sehr viel mehr als die Klanginstallation vorher. Harry bekam seine Unruhe nicht mehr in den Griff. Mit dem schnellen Auftreten der Polizei hatten er und Zoe gerechnet. Aber würde das auch alles weiter so verlaufen, wie sie sich das vorgestellt hatten?
»Signore e signori,per favore, perpiacere! « Der schnieke Commissario versuchte sich Gehör zu verschaffen. »Wir müssen die Befragung einzeln oder in kleinen Gruppen durchführen. Wenn Sie sich bitte so lange noch zur Verfügung halten. Meine Kollegen sagen Ihnen dann Bescheid.«
»Darf man uns hier überhaupt so lange festhalten?«,
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