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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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Magen.« Er ließ sich von ihr das zweite Teppichmesser, Handschuhe und das Klebeband geben.
    Harry drückte die Tür des Damenklos behutsam zu und Zoe schob innen den Riegel vor. Er humpelte an Braques »Trauben« und Legers kubistischer Nackten vorbei in den Raum mit der »Stehenden Frau«. Im Gegensatz zum Miró wurde die Bronze von keiner Überwachungskamera erfasst. Der Tausch der beiden Giacometti-Figuren musste trotzdem schnell gehen. Er hatte es vorher geprobt und war es mehrmals in Gedanken durchgegangen. Doch als er jetzt mit seinem Gips vor der Plastik stand, kam ihm die ganze Situation vollkommen irreal vor.
    Lichtreflexe vom Kanal und vom gegenüberliegenden Ufer mischten sich mit dem Mondlicht, das einen Schatten des verschnörkelten Fenstergitters auf die Wand neben dem Giacometti warf. Die Statue mit ihrer spröden zerfurchten Oberfläche hatte in dem fahlen Licht fast etwas Gefährliches. Der Sockel unter dem Fuß kam ihm beim Original auf einmal größer vor als bei seiner Kopie. Das wäre verhängnisvoll, nicht weil man die Fälschung sofort erkennen würde, sondern weil der echte Giacometti dann nicht in den Gips passen würde.
    Harry sah sich nervös um und horchte. Würde ihn jetzt jemand entdecken, könnte er sich auf dem Weg zum Klo noch verlaufen haben. Einen abgelegten Gips könnte er allerdings nicht mehr erklären. Aber es war nichts Verdächtiges zu hören, keine Schritte in der Nähe, nur das entfernte Kreischen des avantgardistischen Soprans.
    Er streifte die Baumwollhandschuhe über und löste die beiden Klettverschlüsse am Gips. Dann nahm er das Teppichmesser und erfühlte unter dem Klebestreifen die Fuge zwischen den beiden Gipsschalen. Mit einem kräftigen Schnitt fuhr er einmal das ganze Bein entlang. Die beiden Teile lösten sich sofort voneinander. Ohne Probleme konnte er jetzt den Gehgips aufklappen. In dem Moment brach der kreischende Gesang ein paar Räume weiter abrupt ab. Das Telefon klingelte. Und dann war da noch ein neues Geräusch. Ein Tuten oder Posaunen.
    Harry hielt inne. Ganz kurz, nur für den Bruchteil einer Sekunde meinte er, die Duane-Hanson-Figur im Nebenraum neben dem Picasso sitzen zu sehen. Der dicke Großgondoliere im grünen Jackett stierte ihn verwundert an. Harry wurde ganz flau zumute. Ganz schlechter Zeitpunkt, dachte er und versuchte ruhig durchzuatmen. Hier umzukippen, neben der geöffneten Gipsschale und zwei Giacometti-Figuren, wäre ausgesprochen unpassend.
    Vorsichtig nahm er den Plastilin-Giacometti aus der Schale heraus. Besonders achtete er darauf, die an der Hüfte ein kleines Stück frei stehenden Arme der »Stehenden Frau« nicht zu beschädigen. Er hatte den Gips nur wenige Stunden getragen. Doch sein Fuß fühlte sich an, als wären es Wochen gewesen.
    Harry stellte seinen Giacometti neben den echten. In dem bleichen Licht war der Unterschied wirklich kaum zu erkennen. Die Oberfläche seiner Fälschung war nicht ganz so zerfurcht. Er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben. Aber die für Giacometti so typische Rissigkeit seiner Bronzen war ihm nicht hundertprozentig gelungen. Im Mondlicht glaubte Harry, ein leichtes Glänzen auf dem Plastilin erkennen zu können. Aber dafür war jetzt keine Zeit.
    Er hob die »Stehende Frau« von Alberto Giacometti von ihrem Platz. Nach wenigen Sekunden setzte das Alarmsignal ein. Der Ton war beängstigend laut und absolut nervig. Doch glücklicherweise passte das quäkende Signal perfekt zum Gesang der Lady in Schwarz, der jetzt wieder, beherzter als zuvor, eingesetzt hatte. Im Gegensatz zu dem Geklopfe des Kamikazefliegers und dem atonalen Krach, den der Typ in der Werkzeugjacke produzierte, klang die echte Alarmanlage zusammen mit dem Geheule der Sängerin fast harmonisch. Harry fand das ganz beruhigend. Nur die Künstler könnten vielleicht Verdacht schöpfen. Was Harry im Augenblick allerdings mehr Sorgen machte, war das Gewicht des Originals.
    Er platzierte die Kopie, die kaum die Hälfte wog, an dessen Stelle. Jetzt musste er die echte Plastik in seinem Gips unterbringen. Kopf und Oberkörper verschwanden gleich in der Hülle. Doch die Hüfte klemmte und, genau wie er befürchtet hatte, auch der Sockel an der Hacke. Fieberhaft kratzte er mit dem Teppichmesser an den betreffenden Stellen in dem Gips. Das Material ließ sich mit dem Messer leicht schneiden. Dabei entstand allerdings sofort der auffällige typische weiße Staub. Nachdem Francesca offensichtlich durch Gipsstaub überführt worden war,

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