Venedig sehen und stehlen
sich kichernd gegenseitig mit Blitzlicht fotografierten. Das unter ihnen hindurchfahrende Boot nahmen sie Gott sei Dank nicht wahr. Mit Franca an der Seite wollten sie nicht unbedingt fotografiert werden.
Sie umfuhren die Giudecca nicht, sondern durchquerten die Insel auf einem der Seitenkanäle gar nicht weit von Francescas Atelier. Harry versuchte vergeblich, die Gegend wiederzuerkennen. Im Nu hatten sie die Giudecca passiert und fuhren auf die freie Lagune hinaus. Harry drehte an dem Gashahn. Sie waren nicht sonderlich schnell, aber der kleine Yachthafen der Giudecca war jedes Mal, wenn er sich umdrehte, ein Stück kleiner geworden. Nach einer Weile kam hinter ihnen auch der Hafen von Venedig mit mehreren Kreuzfahrtschiffen in den Blick. Über der Stadt lag eine schimmernde Lichtglocke und über der Lagune leuchteten jetzt die Sterne, die Harry in Venedig überhaupt noch nicht aufgefallen waren. Er musste einfach immer nur nach Süden Richtung Chioggia steuern. Aber ohne Kompass war das gar nicht so einfach zu erkennen.
Im Bug des kleinen Kahns, der sich bei der höheren Geschwindigkeit aus dem Wasser hob, waren beide Frauen aus ihren Sitzen gerutscht und lagen nun fast im Boot. Der Motor zeigte auf einmal eine verdächtige Rauchentwicklung, was Harrys Herzschlag schlagartig beschleunigte.
Sollten sie Franca hier vielleicht einfach über Bord kippen? Doch mit Wasserleichen verband Harry nach seinem ersten Kunstcoup in Deutschland einige unangenehme Erinnerungen. Nein, das verfallene Sanatorium auf einer verlassenen Insel fand er als letzte Ruhestätte besser geeignet.
Aber wenigstens den Glaskarpfen konnte er hier in der Lagune loswerden. Harry nahm das Gas zurück, knipste die Taschenlampe an und fummelte den Murano-Fisch aus der Standa-Tüte. Dann holte er Schwung, ließ die Hand mit dem schweren Glasfisch mehrmals hin- und herpendeln und schleuderte den Koi kurzerhand in hohem Bogen ins Wasser. Mit der Taschenlampe leuchtete er dem Fisch hinterher. Für einen Moment wischten die Regenbogenfarben noch einmal durch den Lichtkegel der Lampe. Dann tauchte der Fisch im Fußsprung, wieder mit der Schwanzflosse zuerst, ins Wasser ein. Ohne große Spritzer, ohne Plumpsen, elegant wie ein Turmspringer. Der venezianische Läufer, den Harry hinterherwarf, klatschte dagegen ziemlich plump auf die Wasseroberfläche und dümpelte auf einer Welle Richtung Lido. Das dezente Plumpsen der »Kolibri« war kaum zu hören.
Harry drehte den Gasgriff am Außenborder bis zum Anschlag. Komm, nicht schlapp machen! Einmal Sacca Sessola und zurück, mehr nicht, sprach er dem Motor und sich selbst Mut zu. Irgendwie traute er Giovanni-Dieters Boot nicht. Wenn der Außenborder jetzt seinen Geist aufgab, wäre das eine mittlere Katastrophe.
Je weiter sie sich von den Lichtern der Stadt entfernten und in die Lagune rausfuhren, desto schwieriger wurde die Orientierung. Es war jetzt stockdunkel. Die schmale Sichel des Mondes war heute Nacht kaum heller als die Sterne. Außerdem zog weiter draußen Nebel auf. In einiger Entfernung zur Linken sah Harry die Umrisse einer Insel liegen. Wenn er sich auf dem richtigen Kurs befand, musste das San Clemente sein. Zur Sacca Sessola war es noch ein ganzes Stück. Er zog das Gas wieder etwas weiter auf.
Weit und breit war nichts zu erkennen. Hinter ihnen war Venedig nur noch als Schimmer zu erahnen. Der Außenborder fing an zu klopfen. Im selben Takt hämmerte Harrys Puls schnell und hart. Er spürte die Angst in sich hochkriechen. Die Luft war deutlich kühler geworden und von Minute zu Minute wurde es immer dunstiger. Ein Horizont war nicht mehr zu erkennen. Es war, als wären Wasser und Himmel zusammengeklebt. Langsam bekam er Zweifel, ob diese Insel jemals auftauchen würde. Waren sie vielleicht schon daran vorbeigefahren? Zoe tangierte das alles nicht. Sie schlief tief und fest im Bug. Ihr Kopf war auf die Seite gefallen und nickte mit jeder Bewegung des Bootes sanft auf und ab.
Als er die Suche schon aufgeben wollte, tauchte aus dem Nebel plötzlich die Silhouette eines Turmes auf. Erst hielt er es für eine Fata Morgana, aber dann meinte er eine Art Wasserturm zu erkennen. Der Turm irritierte ihn. Aber das musste Sacca Sessola sein, die Insel mit dem Lungensanatorium, wo seit 1914 Cholera- und Tuberkulosekranke behandelt worden waren. Vor zwanzig Jahren war das Hospital geschlossen worden, hatte Beat Burger gesagt, wenn Harry sich richtig erinnerte.
Die Insel kam schnell näher. Er
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