Venedig sehen und stehlen
betrunken«, rief Zoe.
»Nu klor, ä bissl ze dief ins Glos geguggt«, fiel dem Sachsen endlich mal wieder ein Satz mit »Glas« ein.
»Ja, wirklich. Das war zu viel für sie.« Harry lächelte bemüht. »Der Weg zum Bahnhof ist eigentlich ganz einfach«, versuchte er den Kerl mit dem Nackenspoiler loszuwerden. »Ferrovia, nächste rechts, dann links und dann erst mal immer am Kanal lang.«
»Nu, immer am Kanal lang. Was meenstn was ich seit zwee Stunden mach.« Der Fips sah ihn triumphierend an.
Harry zog jetzt immer hektischer an dem Starterseil. Warum wollte dieser Scheißmotor ausgerechnet jetzt nicht anspringen? Harry spürte die Panik wie eine Flut allmählich in sich aufsteigen.
»Hamma gor keen Gibbs mehr?« Der Jeansjacke fielen aber auch wirklich immer neue Themen ein.
»Gleich hol ich den Glaskarpfen raus«, zischte Zoe Harry zu.
Er sah sie an und musste fast lachen.
»Aber bitte nicht meinem Arzt verraten«, rief Harry dem Kleinen zu. »Er hat gesagt, ich soll den Gips unbedingt tragen.«
Nach ein paar weiteren Versuchen sprang der Außenborder endlich prustend an. Harry drehte den Gasgriff. Die Maschine verschluckte sich, puffte einmal kräftig und lief dann schon etwas runder.
»Wir müssen dann mal«, schrie Harry zu dem Sachsen hinüber. »Unsere Freundin hier gehört ins Bett.« Er machte das Boot los und legte den Gang ein.
»Links, nee, rechts, links und nacher gradaus«, fasste der Hänfling die Wegbeschreibung noch einmal zusammen.
»Genau, immer geradeaus«, rief Harry ihm zu, während er das Boot auf den Kanal lenkte.
Zoe winkte ihm erleichtert zu. »Alles Gute, good luck! «
Auf dem Rio del Trapolin tuckerten sie zum Rio di Noale. Der Bug, in dem Zoe neben der fast liegenden Franca saß, und das ganze Boot lagen tief im Wasser. Sie waren zu dritt einfach zu schwer. »Solo due persone« ,hatte Hans-Dieter gesagt.
Harry gab nur halb so viel Gas wie heute Mittag bei der Verfolgungsjagd. Ihr Transport sollte so leise wie möglich vonstatten gehen. Trotzdem waren sie innerhalb von Minuten auf dem Canal Grande angelangt. Man musste den Weg nur kennen und den Rio della Misericordia meiden. Die kleineren Kanäle in Cannaregio waren wie ausgestorben. Auch auf dem Canal Grande war nicht mehr viel los, nur ein einzelnes Vaporetto, das gerade an der Ca’ d’Oro ablegte, und drei, vier private Motorboote oder Wassertaxis. Harry hielt großen Abstand von den anderen Booten. Dass Signora Schillaci und der Sachse Zoe und ihn Arm in Arm mit Francesca gesehen hatten, reichte an Zeugen.
»Harry, don’t worry. Die Signora ist genauso kurzsichtig, wie sie schwerhörig ist. Und der Kleine ist morgen mit seinem Bus wieder back in Germany. « Zoe hatte anscheinend seine Gedanken gelesen.
Sie fuhren unter der Rialtobrücke hindurch. Das Wasser war sehr viel unruhiger als in den letzten Tagen. Es war ein leichter, immer noch warmer Wind von Süden aufgekommen. Der Canal Grande hatte kleine Wellen.
Der Außenborder spuckte immer mal ein Benzinwölkchen, aber er tuckerte brav über den Kanal. Die Fassaden der großen Palazzi leuchteten in die Nacht. Die Spiegelbilder auf dem Wasser wurden durch die Wellen zerrissen.
»Beautiful, isn’t it?« Zoe war ganz hin und weg angesichts der nächtlichen Kulisse. Den Anlass ihres Ausflugs schien sie für einen Moment völlig vergessen zu haben. Harry dagegen war angespannt. Er horchte auf den nicht sonderlich vertrauenerweckenden Motor und hatte ständig die beiden Ladys im Bug im Auge.
Kurz vor der Accademiabrücke verließen sie den Canal Grande.
»Und der Miró? Müssen wir nicht weiter geradeaus?«
»Lass uns das Guggenheim auf dem Rückweg machen. Dann ist es hoffentlich noch etwas ruhiger.«
Sie tuckerten den Rio di San Trovaso entlang, der an der kleinen Enoteca vorbeiführte, wo sie neulich Mittag cicchetti gegessen hatten. Harry hatte den kürzesten Weg zur dieser geheimnisvollen Insel herausgesucht und sich eingeprägt. Je weiter die Strecke, desto eher konnten sie von jemandem gesehen werden und Verdacht erregen. Als sie unter der Ponte Trovaso hindurchfuhren, hallte das Tuckern von den Tunnelwänden wider. Über die alten Ziegel flackerte ein Lichtreflex vom Wasser.
Sie kamen direkt an der Anlegestelle Zattere heraus, die sich zum Canale della Giudecca öffnete. Das hatte Harry nicht recht bedacht. Auf den Fondamenta Zattere war tatsächlich noch Betrieb. Auf den Fondamenta del Ponto Longo stand mal wieder eine Gruppe junger Japaner, die
Weitere Kostenlose Bücher