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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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mochten, dann waren das Ratten. Letztes Jahr hatte es bei ihnen in New York Ratten im Hinterhof gegeben, und den Köder hatte Zoes Vater aufstellen müssen.
    Harry rüttelte an dem Zaun, wodurch ein Loch entstand, durch das sie sich hindurchzwängten. Dahinter stießen sie auf einen Tümpel.
    Harry erschrak. »Zoe, was schwimmt da?«
    »What the hell is that?« Zoe stierte angestrengt auf die Wasseroberfläche. Dort schwammen mehrere melonengroße Schalen. Äste oder Baumstämme waren das nicht. Die Form war zu regelmäßig. Harry leuchtete mit der Lampe über das Wasser. Direkt neben einer der Schalen tauchte etwas auf, ein schrumpeliges Etwas, aus dem unter schuppigen Lidern zwei Augen hervorglotzten.
    »Das sind Schildkröten«, stieß Harry aus. »Ich glaub es nicht!«
    Auf dem Teich dümpelten vier oder fünf große Wasserschildkröten. Er hatte so etwas in der Natur noch nie gesehen.
    »Aber Krokodile gibt es hier nicht?«, fragte Zoe. »Oder?« Sie schlug nach einer Mücke auf ihrer Wange.
    »Mir sind in Europa zumindest noch keine begegnet.«
    Sie arbeiteten sich weiter vor. Das Gelände wirkte wie ein riesiger verwilderter Garten. Alles war von Gräsern, Gestrüpp und Baumablegern überwuchert. An verrosteten Metallstangen hingen zerrissene Zaunreste. Die Natur hatte sich das ehemalige Sanatoriumsgelände zurückerobert. Aber im Hintergrund ließen sich trotz der Dunkelheit auch noch Teile einer Parkanlage mit schemenhaften Pinien und Zedern erahnen. Dazwischen lagen ältere kleine Villen und verfallene, mit Wellblech gedeckte Gartenhäuser, in denen verrostete Stahlrohrliegen vor sich hin gammelten. Aus dem Nebel tauchte der eigentliche Krankenhaustrakt auf, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bis in die Zeit des Faschismus gebaut worden war.
    Die noch vorhandenen Fensterscheiben waren ausnahmslos zerschlagen. Die meisten Fenster hatten gar keine Scheiben mehr. Aus zerbröselnden Betonpfeilern staken die Bewehrungseisen heraus. Harry leuchtete mit der Taschenlampe in einen Kellerabgang hinein. Die Treppen sahen abenteuerlich aus, unten stand das Wasser.
    Sie tasteten sich vorsichtig einen schmalen Gang entlang. Die Reste des Glasdachs über ihnen sahen nicht sonderlich vertrauenerweckend aus. Vom nächsten Korridor aus konnten sie in verschiedene Räume sehen. In einem Zimmer waren bis unter die Decke ausgediente Feuerlöscher und alte Rollstühle gestapelt, im nächsten lagen Liegen mit gelblichen verwitterten Stoffresten und ineinander verhakten Stahlrohrteilen. Holzverkleidungen waren von den Wänden gefallen oder gerissen und lagen wie Paletten zwischen alten Textilien auf dem Boden. Eine Szenerie wie nach dem Weltuntergang.
    »Harry, da war schon wieder eine Ratte!« Zoe klammerte sich an ihn.
    »Scheißviecher!« Er leuchtete dem Tier hinterher, das blitzschnell aus dem Lichtkegel huschte und im Dunkel verschwand.
    »Lass uns nicht lange rumsuchen.« Zoe machte ein angeekeltes Gesicht. »Wir deponieren sie einfach hier.«
    Sie zeigte in einen Raum, in dem zwischen Bauschutt und Gräsern massenhaft alte Krankenakten herumflogen. »Und das Vergraben können wir uns hier wirklich schenken.«
    »Ich glaube auch. Sieht nicht so aus, als ob hier in letzter Zeit irgendjemand vorbeigekommen wäre.«
     
    Sie drehten um und liefen den Weg wieder zurück.
    Fast hätten sie Franca in dem hohen Gras nicht wiedergefunden. Sie mussten das Gelände regelrecht durchkämmen.
    Aber dann hatte Harry die leblose Gestalt im Kegel seiner Taschenlampe. Sie stellten Franca wieder auf die Füße und nahmen sie zwischen sich. Mittlerweile war die Totenstarre deutlich vorangeschritten. Nur mit äußerster Anstrengung schleiften sie ihre sperrige Fracht durch das Strauchwerk. Nachdem sie sich zu dritt mühsam durch die Öffnung in dem Maschendrahtzaun hindurchgezwängt hatten, waren sie völlig erledigt. Es war nicht mehr so heiß, aber unangenehm feucht. Harrys Herz raste, mehr vor Anstrengung als vor Aufregung. Dass jemand sie hier entdecken könnte, hielt er momentan eher für ausgeschlossen.
    Auf den letzten Metern kippte Franca ihnen immer mehr weg. In sich zusammensacken konnte sie nicht mehr, dazu war sie zu steif. Sie war eher wie ein sperriges Möbelteil, dass Harry und Zoe durch die gespenstische Landschaft trugen. Die beiden konnten einfach nicht mehr. Ihre eigenen und auch Francas Klamotten waren mittlerweile übersät mit kleinen Klettenkugeln. Als Harry Franca an ihrem Jackett packte, stach er sich an etwas

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