Venedig sehen und stehlen
sich in der Wohnung haben. Außerdem machte er ihnen die größten Vorwürfe, weil sie doch bald Eltern werden würden. Deshalb hatten Harry und Zoe das Angebot des »Kunstsammlers« bereitwillig und schnell akzeptiert.
Was aus dem Miró geworden war, hatten sie nicht in Erfahrung bringen können. Ein paar Mal hatten sie sich noch europäische Zeitungen besorgt. In einer Ausgabe von »La Stampa« hatten sie eine kleine Notiz über den verschollenen Miró aus der Fondazione Guggenheim gelesen. Aber dem Artikel war nur zu entnehmen, dass das Bild nicht aufzufinden war. Die des Kunstraubes verdächtigte Francesca Zenga stand weiter auf der Fahndungsliste. Von Zeit zu Zeit kochte in Harry noch die Wut hoch angesichts der Vorstellung, dass sich dieser Giovanni-Dieter aus Schneverdingen vermutlich mit ihrem Miró in Venedig ein schönes Leben machte.
In den ersten Wochen nach ihrer Rückkehr nach New York hatten Harry und Zoe in regelmäßigen Abständen eine ganze Reihe von Briefen aus Europa erhalten. Einer kam aus Schneverdingen in der Lüneburger Heide, die anderen aus Venedig. Sie enthielten immer dieselbe Fotokopie einer Rechnung der »Azienda Brizzi« über die Installation eines neuen Gasboilers, verbunden mit Hans-Dieter Poschmeiers »dringender Bitte« um Überweisung des Betrages von hundertsiebenundzwanzigtausend Lire auf sein Konto.
Harry und Zoe reagierten einfach nicht darauf. Nach einer Weile hörten die Briefe auf und die aufregende Zeit in Venedig rückte in ihren Gedanken langsam in den Hintergrund, denn mittlerweile bestimmten ganz andere Themen ihr Leben.
Erstaunt und fast etwas beängstigt registrierte Harry, wie sich Zoes Bauchumfang von Woche zu Woche dramatisch veränderte. Zoes modisches Interesse konzentrierte sich neuerdings auf Strampelanzüge, die sie in den unglaublichsten Farbkombinationen von ihren Shoppingtouren mitbrachte. Harry durchkämmte derweil die Buchhandlungen im Village nach der einschlägigen Literatur. Auf dem Nachttisch stapelten sich Titel wie »Month by month« oder »Birth your way«. Der Ratgeber »Don’t just stand. How to be helpful. The new Dad’s survival guide« avancierte in diesen Tagen zu Harrys Bibel. Zur Teilnahme am Schwangerschaftyoga hatte er sich allerdings noch nicht durchgerungen.
Statt aufs Land zu ziehen, hatten sie sich erst mal eine kleine ruhige Wohnung in Brooklyn genommen, in Park Slope, nicht weit vom Prospect Park. Es war eine Gegend, die sie sich vorher nicht hätten leisten können. Aber durch den Giacometti hatte sich das geändert. Zugegeben, die Wohnung war etwas dunkel. Aber sie hatte einen kleinen Austritt zum Hinterhof. Einen Garten konnte man das nicht wirklich nennen. Doch Harry hoffte, dadurch den Umzug aufs Land noch einmal eine Weile hinauszögern zu können.
Der Winter hatte sich angekündigt. Es hatte schon geschneit, und der Schnee war für mehrere Tage liegen geblieben. Während Zoe fleißig zur Schwangerschaftsgymnastik ging, guckte Harry neuerdings Baseball im Fernsehen. Langsam wurde er ein richtiger Amerikaner. Er versuchte sich das Rauchen abzugewöhnen und beschäftigte sich mit der Frage, ob er bei der Geburt dabei sein wollte oder lieber doch nicht.
In Sams Hinterzimmer in der zehnten Straße druckte er die falschen Kirchner-Holzschnitte jetzt in Serie. Sam hatte einen zuverlässigen Abnehmer. Das Geschäft florierte. Aber erstmals kamen Harry Bedenken. Schließlich wurde er jetzt Familienvater. Er hatte leise Zweifel, ob Kunstdiebstahl und Fälscherei noch die angemessene Art war, ihren Lebensunterhalt zu sichern. So wie in Venedig konnten Zoe und er nicht weitermachen. Beruf und Familie waren bei ihnen kaum vereinbar. Und die Chancen, eine Kinderkrippe zu finden, die sich mit den Öffnungs- oder vielmehr den Schließungszeiten der Museen abstimmen ließ, standen nicht sonderlich gut.
An einem Morgen kurz vor Weihnachten klingelte das Telefon. Harry und Zoe saßen in ihrer neuen Wohnung noch beim Frühstück. Zoes Vater war dran und erzählte, dass soeben Freunde von ihnen aus Venedig bei ihm in der Galerie aufgekreuzt seien. Er selbst sei gar nicht da gewesen, deshalb habe Maria, die puertoricanische Putzfrau, mit ihnen gesprochen und habe ihnen Harrys und Zoes neue Adresse in Brooklyn gegeben. Harry war schlagartig beunruhigt. Das passte ihm überhaupt nicht. Es galt, jede Aufregung von Zoe fernzuhalten. Seit einigen Tagen glaubte Zoe, immer mal wieder Wehen zu haben, wollte aber partout nicht ins
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