Venedig sehen und stehlen
Harry und Zoe sich als Kunstdiebe offenbart.
Zoe hatte die Lage sehr realistisch eingeschätzt. Sie war gleich bereit gewesen, den Miró abzuschreiben. »Wir müssen hier morgen verschwinden«, hatte sie gesagt. »Wir haben schließlich noch den Giacometti. Der bringt mindestens so viel wie der Miró.«
Zoe hatte sicher recht. Unter den aktuellen Bedingungen mussten sie jederzeit damit rechnen, dass die Polizei bei ihnen aufkreuzte. Es war höchste Zeit abzuhauen.
Irgendwann siegte auch bei Harry die Müdigkeit über die Wut und Enttäuschung. Er spürte plötzlich, wie fertig er eigentlich war. Ein Bild zu malen war manchmal richtig harte Arbeit, Harry wusste das, er war schließlich selbst Maler gewesen, aber gegen das Klauen eines Bildes war das Malen ein Klacks. Und ein misslungener Kunstcoup war noch frustrierender als ein missratenes Gemälde.
Sie hatten noch eine ganze Weile auf der Dachterrasse gesessen, Bier getrunken, die Reste des Fischsandwichs gegessen und Neil Young gehört, das heißt Zoe hatte kein Bier mehr getrunken, sondern lauwarmes Pellegrino mit einer Zitronenscheibe und Harry dabei bedeutungsvoll angesehen. Auf den sperrigen Liegestühlen sitzend, hatten sie sich lange und umständlich geküsst. Zoe wippte zu Neil Young mit dem Fuß. Sie war erstaunlich gut gelaunt trotz des verschollenen Bildes und dieser Geschichte mit Franca.
»I’ve beenflyin’-down the road …. Uuhuhuhuhuu-Albuquerque« , summte sie ziemlich daneben vor sich hin.
Hinter den Dächern Richtung Arsenale, wo er in der »Pensione Rosa« seine ersten Nächte verbracht hatte, verfärbte sich der Himmel und kündigte den Sonnenaufgang an. Auf der Lagune lag noch Nebel, aber der verzog sich allmählich. Harry kam es vor, als wäre er seit einer halben Ewigkeit hier in Venedig. Er blickte auf Zoe, die im Liegestuhl eingeschlafen war. Erstmals konnte er sich vorstellen, dass sie vielleicht tatsächlich aufs Land ziehen würden, wie Zoe es wollte. Aber am Meer sollte es sein, unbedingt, darauf bestand er. Er malte sich aus, dass sie mit Blick aufs Meer wohnten, dass er vielleicht wieder malte, statt Bilder zu klauen, und dass sie ein Kind hatten. Darüber schlief er dann irgendwann ein.
Völlig übermüdet packten sie am nächsten Morgen ihre Sachen zusammen. So gut es ging, brachten sie die Wohnung in Ordnung. Er kontrollierte, dass die Gasleitung abgedreht war. Und dann dachte er noch daran, die Pistolenkugel aus dem lecken Gasboiler herauszupuzzeln.
Während sie den Giacometti im Gipsbein verstauten, horchte Harry ständig nach Geräuschen im Treppenhaus. In seiner Fantasie hörte er schon die Klingel der Wohnungstür schrillen. Allein die Vorstellung verursachte ein heftiges Pochen in seinen Schläfen. Abwechselnd sah er den Commissario, Hans-Dieter und den »Brizzi«-Monteur vor der Tür stehen.
»Zoe, sieh zu, dass du fertig wirst!«, rief Harry nervös. Zoe tapste immer noch in ihrem »Tonight’s-the-Night«-Shirt durch die Wohnung.
»Ich will hier nicht noch mal mit dem Kommissar zusammentreffen.«
»Aber vielleicht will ich mich ja noch mal mit ihm verabreden«, griente Zoe provozierend.
»Lompo wäre mit unserer Abreise ganz sicher nicht einverstanden.«
»Das kann gut sein, Darling.« Zoe zeigte ihre Zähne.
Harry stöhnte genervt auf.
Hans-Dieter wollten sie vor vollendete Tatsachen stellen. Sie hatten sich überlegt, ihm einfach in der Pizzeria die Apartmentschlüssel zurückzugeben, um so eine gemeinsame »Endabnahme«, wie dieser Pedant es nannte, zu vermeiden. Denn von den Veränderungen in seiner Wohnung, dem Fehlen des Karpfens und des Teppichs sowie dem zerschossenen Gasboiler wäre er vermutlich weniger begeistert. Harry hoffte nur, dass ihnen die Polizei jetzt nicht noch dazwischenkam. In ein paar Stunden waren sie hier verschwunden und morgen hatten sie, wenn alles gut ging, Italien verlassen.
Als sie schwer bepackt die Fondamenta della Misericordia entlangschlichen, stand die Hitze schon wieder in den Straßen und Kanalschluchten. Schon nach wenigen Metern brach ihnen der Schweiß aus. Zoe trug Harrys Reisetasche und die Plakatrolle aus dem Guggenheim-Museum, die eigentlich für den Miró vorgesehen war und in der jetzt leider nur ein Kunstdruck von Picassos »On the Beach« steckte. Harry hatte neben seinem Gehgips auch noch Zoes gigantischen Seesack zu schleppen. Passenderweise trug er mal wieder sein Tweedjackett.
An den Fondamenta herrschte dieselbe Atmosphäre wie am Vortag. Die
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