Venezianische Versuchung
legte ihm die Hände auf die Schultern. Ein Schauer überlief sie, als sie die kräftigen Muskeln unter ihren Fingern spürte. „Der Signore“, erklärte sie, „ist ein großzügiger Gentleman, und seine Einladung ist lediglich ein Ausdruck seiner Freundlichkeit.“
„Gut.“ Richard entspannte sich und schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Sie werden es mir hoffentlich nicht zum Vorwurf machen, dass ich Sie ganz für mich allein haben möchte, Jane.“
„O nein“, sagte sie, „wie könnte ich das tun? Ich werde Ihren Wunsch nur zu gern erfüllen.“
Da beugte er sich zu ihr und küsste sie.
15. KAPITEL
I m Teatro San Samuele – wie auch in anderen Theatern – war es üblich, dass die Vorstellung vor einem halb leeren Haus begann. Das Orchester spielte ein paar Stücke, während sich die Logen und auch die billigeren Plätze langsam füllten. Das geschah sehr langsam, denn selbst wenn ein Mangel an Eintrittskarten vorauszusehen war, hielten die Mitglieder der vornehmen Gesellschaft es für unter ihrer Würde, pünktlich zu erscheinen. Oft war der erste Akt bereits zu Ende, ehe auch nur ein Teil der Logen besetzt war.
Signor di Rossi jedoch war ungewöhnlich früh eingetroffen. Allerdings hatte er im hinteren Teil seiner Loge Platz genommen, wo niemand ihn sehen konnte. Vorn an der Balustrade brannten Kerzen, die dafür gedacht waren, die Juwelen der Damen zum Glitzern zu bringen. Diese Pracht zu bewundern war bedeutend wichtiger als alles, was auf der Bühne vorging.
Di Rossi hatte seinen dunklen Mantel noch nicht abgelegt und trug zudem einen tief in die Stirn gezogenen Hut und eine Halbmaske, die übliche Ausstaffierung für einen vornehmen Venezianer, der unerkannt bleiben wollte. So ähnelte er Dutzenden anderer Gentlemen, was genau seiner Absicht entsprach. Am liebsten hätte er sich unsichtbar gemacht. Niemand sollte ihn bemerken. Er war nur gekommen, um auf das Erscheinen der süßen, kleinen englischen Gouvernante zu warten.
Aufmerksam beobachtete er die Neuankömmlinge. Da er vermutete, dass Miss Wood recht früh auftauchen würde, hatte auch er sich beeilt. Seit er die Engländerin kannte, war in ihm die Überzeugung gereift, dass Pünktlichkeit eine englische Tugend sein müsse, und zwar bei einem dämlichen englischen Duke ebenso wie bei seiner dienstbeflissenen Angestellten.
Er seufzte, denn Geduld gehörte nicht unbedingt zu seinen Stärken. Trotzdem würde er hier so lange ausharren wie nötig. Schon im Vorfeld hatte er einiges unternommen, um herauszufinden, welche Loge der Duke gemietet hatte. Nun war es sein erklärtes Ziel zuzuschauen, wie Miss Wood und ihr Begleiter sich auf ihren Plätzen niederließen.
Zornig blitzten seine Augen auf. Noch bis vor Kurzem hatte er geglaubt, kein englischer Aristokrat würde sich dazu herablassen, die Gouvernante seiner Töchter ins Theater zu begleiten. Natürlich konnte sich in Venedig ein honoriger Herr jederzeit mit einer eleganten Geliebten oder einer teuren Kurtisane in der Öffentlichkeit sehen lassen. Aber es gehörte sich nun mal ganz und gar nicht, sich Arm in Arm mit jemandem vom Personal zu zeigen. Sicher, weibliche Bedienstete konnten durchaus zum Amüsement eines Gentleman beitragen. Aber solche Beziehungen hielt man geheim, zumal sie in der Regel sehr schnell vorüber waren.
Di Rossi konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass das in England anders war.
Ein selbstironisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Hatte er nicht selbst ebenfalls vorgehabt, mit Miss Wood das Theater zu besuchen? Nun, immerhin gehörte die Gouvernante, deren unschuldiges ungeschminktes Gesicht ihn so faszinierte, nicht zu seinem Haushalt. Somit durfte er sie durchaus als angemessene Beute betrachten, wenn es ihm gelingen sollte, sie zu erobern – woran er letztendlich nicht im Geringsten zweifelte. Im Übrigen wäre er niemals auf die Idee gekommen, sich mit dem Duke zu vergleichen. Schließlich war er ein echter Venezianer, wohingegen Aston als Engländer einem Volk und einer Gesellschaftsordnung angehörte, die di Rossi verachtete.
Obwohl er den Duke noch nie gesehen und noch kein Wort mit ihm gewechselt hatte, war er davon überzeugt, dass es dem Engländer an vielem fehlte, was einen richtigen Mann ausmachte. Die kleine Gouvernante mochte ja hingerissen sein und sich geschmeichelt fühlen, weil ihr Herr ihr ein wenig Beachtung schenkte. Aber es würde nicht schwer sein, ihr die Augen zu öffnen.
Er seufzte. Wenn er die beiden jetzt
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