Venezianische Versuchung
eine Weile nicht aus den Augen ließ, würde er genug über den Engländer in Erfahrung gebracht haben, um Miss Wood auf all dessen Mängel hinweisen zu können. Er wischte einen kaum sichtbaren Fussel vom Ärmel seines dunklen Mantels. Es ärgerte ihn, dass Astons Auftauchen in Venedig seine eigenen Pläne zumindest vorerst durchkreuzt hatte. Natürlich handelte es sich nur um einen Aufschub. Doch das war schlimm genug, da er der Verführung der unschuldigen Gouvernante voller Erwartung entgegenfieberte.
Kein Wunder, dass zunächst wilde Wut in ihm aufgeflammt war, als er Miss Woods Schreiben erhielt. Wie konnte sie es wagen, seine Einladung ins Theater abzulehnen? Dann jedoch hatte er sich gesagt, dass es erst sein Verlangen und dann den Genuss der Eroberung steigern würde, wenn er sich noch ein wenig geduldete. Schmeckte ein gutes Mahl nicht auch umso besser, je hungriger man war? Die Philosophen behaupteten sogar, dass Vorfreude die schönste Freude sei. Nun, diese Meinung teilte er nicht. Er seufzte, als er sich ausmalte, welche Wonnen er empfinden würde, wenn er der kleinen tugendhaften Jane Wood endlich ihre Unschuld raubte!
Ah, dieses Warten würde sich gewiss lohnen!
„Unsere Loge muss dort drüben sein“, sagte Jane, die ihre Aufregung kaum verbergen konnte. An Richards Arm folgte sie einem der Platzanweiser. „Oh, ich hoffe, wir sind nicht zu spät!“
„Meine Süße, dies ist ein Theater. Das Stück beginnt ganz bestimmt nicht zur angekündigten Zeit. Schauspieler verspäten sich immer. Das sollen Sie wissen, Jane!“
Sie schüttelte den Kopf. „Wie könnte ich? Ich war noch nie im Theater. Jedenfalls nicht in einem richtigen. Sicher, die Mädchen und ich haben gelegentlich die Stücke gesehen, die Wanderschauspieler im Festsaal des Gasthofes von Aston gespielt haben. In Paris hatte ich eigentlich vor, mit Ihren Töchtern eine Theateraufführung anzuschauen. Aber als wir dort waren, gab es nichts Interessantes. In Rom habe ich einmal mit Lady Diana die Oper besucht. Doch ich denke, dass man das nicht vergleichen kann.“
„Sie waren noch nie im Theater?“, fragte er ungläubig. „Bestimmt haben Sie in London …“
„Ich bin nur zwei Mal in meinem Leben in London gewesen. Beide Male hatte ich keine Zeit, das Theater zu besuchen. Ich musste mich um die geschäftlichen Angelegenheiten meines Vaters kümmern.“
„Und daneben fanden Sie keine Zeit für irgendetwas Angenehmes?“
Sie zuckte die Schultern und legte die Wange an das weiche Fell des neuen Muffs. „Nein. Während jener beiden Besuche hatte ich einfach zu viel zu tun. Und sonst habe ich Aston ja kaum verlassen. Sie haben sehr deutlich gemacht, Richard, dass ich mit den Mädchen auf dem Lande bleiben sollte, solange sie nicht alt genug waren, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Bitte, missverstehen Sie mich nicht. Ich möchte mich nicht beklagen. Es stimmt ja, dass es für Lady Mary und Lady Diana viel besser war, das Stadtleben bis zu einem bestimmten Alter nicht kennengelernt zu haben. Aber so ist es eben dazu gekommen, dass ich noch nie im Theater war.“
„Hoffentlich wird das Stück heute Sie nicht enttäuschen.“ Zärtlich drückte er ihre Hand. Obwohl sie nicht gejammert hatte, fühlte er sich plötzlich schuldig. Er trug die Verantwortung dafür, dass sie keine der vielen Vergnügungen kannte, die London zu bieten hatte. Natürlich war ihm klar, dass er niemals verpflichtet gewesen war, der Gouvernante seiner Töchter Gelegenheit zu geben, sich zu amüsieren. Tatsächlich war es ihr in seinen Diensten zweifellos besser ergangen als den meisten Frauen, die ähnliche Stellungen innehatten. Jetzt allerdings verspürte er den dringenden Wunsch, sie zu verwöhnen.
„Ich hoffe“, korrigierte er sich, „dass das Stück ein ganz besonders gutes ist, und dass Sie einen wunderschönen Abend verleben.“
„Oh, das werde ich bestimmt“, erwiderte sie strahlend. „Wie könnte es anders sein?“
Er lachte. „Ob Sie sich wirklich so gut unterhalten werden, hängt wohl davon ab, was Sie sich von diesem Abend erhoffen.“
In diesem Moment blieb der Platzanweiser vor einer verschlossenen Tür stehen. Er steckte einen großen Schlüssel ins Schloss, drehte ihn und riss die Tür schwungvoll auf. Jane betrat die Loge, während Richard dem Mann eine Münze in die Hand drückte. Als er sich dann zu Jane gesellte, stellte er fest, dass sie mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen an der Balustrade stand.
„Sehen Sie
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