Venezianische Versuchung
nur, Richard“, flüsterte sie. „Sehen Sie nur!“
Natürlich wusste er nicht, wie Jane sich das Innere des Theaters vorgestellt hatte. Doch er musste zugeben, dass das Teatro San Samuele außergewöhnlich schön war. Die hölzernen Balustraden der Logen waren mit kunstvollen Schnitzereien verziert und in Weiß und Goldtönen bemalt. In ihrer Vielzahl vermittelten sie den Eindruck, sich wellenförmig auszubreiten. Die tiefblaue Decke des großen Saals war mit goldenen Sternen geschmückt, und die Bögen, die diese Decke stützten, glänzten ebenfalls golden. Beleuchtet wurde der riesige Raum durch Kerzen, die größer waren als alle, die Jane bisher gesehen hatte.
„Wie wunderschön“, seufzte sie. Ihr Gesicht spiegelte das kindliche Staunen wider, das sie erfüllte. „Die venezianische Begeisterung für alles Schöne zeigt sich hier in diesem weltlichen Dingen gewidmeten Gebäude ebenso deutlich wie in der Gestaltung der Gotteshäuser.“
Richard schmunzelte. „Hätten Sie nicht einfach sagen können, das Theater ist so schön wie ein Märchenschloss?“
Lächelnd wandte sie sich ihm zu. „Schöner könnte selbst die Elfenkönigin in einer Mittsommernacht nicht sein“, erklärte sie. „Gefällt Ihnen das besser?“
„Vielleicht …“ Nachdenklich wiegte er den Kopf. „Meine liebe Elfenkönigin, würden Sie geruhen, auf Ihrem Thron Platz zu nehmen?“ Er wies auf einen bequem aussehenden Stuhl.
Gehorsam setzte sie sich, beugte sich jedoch sogleich so weit wie möglich nach vorn, um dem Geschehen im Theater zuschauen zu können. „Es heißt, dass viele Besucher nicht herkommen, um die Schauspieler zu bewundern, sondern um die Menschen im Publikum zu beobachten, die oftmals die interessantere Vorstellung geben sollen. Und ich glaube tatsächlich, dass das in Venedig möglich ist. Himmel, noch nie habe ich so viele kostbar gekleidete und mit so teurem Schmuck behängte Damen gesehen!“
Richard allerdings hatte keinen Blick für jene Theaterbesucherinnen. Fasziniert betrachtete er Janes Profil und die geschwungenen Linien ihres Körpers. Sie hatte ein Kleid aus dunkelblauer Seide an, was im Vergleich zu den bunten, reich verzierten Roben der meisten Anwesenden sehr einfach wirkte. Doch es stand ihr hervorragend. Sie war schön. Es war eine ungekünstelte natürliche Schönheit, die zusätzlich durch ihre schlichte Frisur betont wurde.
Richard war wie verzaubert. „Ich möchte Ihnen gern ein bisschen Schmuck schenken“, sagte er. „Wir hätten gleich gestern in einem der Geschäfte etwas kaufen sollen.“
„Ich weiß, wie großzügig Sie sind, Richard. Aber ich brauche keinen Schmuck. Wann hätte ich Gelegenheit, Gold und Juwelen zu tragen? Wozu also sollte ein solches Geschenk gut sein?“
„Ich würde Ihnen gern eine Freude machen“, sagte er, erstaunt darüber, dass das für sie nicht selbstverständlich zu sein schien. „Ich schäme mich Ihrer nicht, auch dann nicht, wenn Sie ohne Schmuck und einfach gekleidet sind. Aber ich finde, dass Sie ein paar Ohrringe, Halsketten und Ringe verdient haben und auch einige neue Kleider. Daran hat jede Frau Freude, nicht wahr?“
Jane blickte ihn fest an. „Das mag für vornehme junge Damen zutreffen, aber nicht für Frauen wie mich. Vergessen Sie nicht, ich bin eine Gouvernante.“
„Sie arbeiten nicht mehr als Gouvernante. Sie haben mich als Freundin, nicht als Bedienstete ins Theater begleitet.“
„Das stimmt.“ Ihr Lächeln war süß, enthielt jedoch auch einen Hauch von Traurigkeit. Dann wandte sie Richard und seinem Angebot, sie mit Schmuck und Kleidung zu beschenken, entschlossen den Rücken zu. „Um Himmels willen, sehen Sie doch nur! Die Dame dort drüben hat ihr Hündchen mitgebracht! Ein winziges Tier mit riesigen Ohren.“
Richard fühlte Enttäuschung in sich aufsteigen. Sicher, auch er hatte nicht vergessen, was sie miteinander in jener magischen Nacht auf der Brücke besprochen hatten: Sie würden keine Pläne schmieden, sie würden Tag für Tag genießen, was es Schönes zu erleben gab. Aber warum, zum Teufel, sollte ihn das davon abhalten, seine süße Jane mit neuen Kleidern und Juwelen zu verwöhnen?
Plötzlich schlecht gelaunt meinte er: „Da die Dame dort sich hinter einer dieser höllischen Masken versteckt, kann das Interesse ihrer Mitmenschen wohl nur ihrem Hund gelten. Ich werde nie begreifen, warum die Menschen hier sich maskieren.“
„Es heißt, dass es in Venedig eine lange Tradition von Maskenbällen und
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