Veni, Vidi, Gucci
Glas.
Oh Gott, ich muss aufstehen.
Schnell!
Mit wackligen Beinen, die beinahe ihren Dienst versagen, schleppe ich mich, so schnell es geht, in die Diele und von dort ins Gästeklo. Ich schaffe es gerade noch rechtzeitig.
Etwas später – vielleicht zehn Minuten danach? – ist alles raus. Ich fühle mich schwach und erschöpft, aber trotzdem besser. Das liegt daran, dass ich mir gerade die Zähne geputzt habe. Ich spritze mir etwas Wasser ins Gesicht, trockne mich anschließend mit einem Handtuch ab und koste das Gefühl aus, als ich den Stoff auf meiner Haut spüre. Das Handtuch ist vorgewärmt von der Lamellenheizung – ein beheizter Handtuchhalter. Ist das nicht dekadent? Ich habe einen Weinkeller, ein Gästeklo mit einer beheizten Handtuchstange und einen Garten mit edlen Hartholzmöbeln. Einen möblierten Garten.
Und dabei habe ich das alles gar nicht verdient, oder?
Ich bin nämlich zu nichts nütze, und hätte ich nicht zwei wunderbare Kinder, für die ich sorgen muss, gäbe es für mich keinen Grund mehr, hier zu sein. Weder hier in diesem Haus noch hier auf diesem Planeten.
Und wenn das so ist, was habe ich dann noch für eine Chance, den einzigen Mann zu halten, den ich jemals richtig geliebt habe?
Als ich heute Morgen wach wurde – was mir jetzt vorkommt, als wäre es schon mehrere Tage her –, habe ich mich sogar richtig auf Richards Besuch gefreut. Ich konnte es kaum erwarten, mit ihm über all das zu sprechen, was mich in den letzten Tagen beschäftigt hat. Und ich war gespannt, was Richard mir zu sagen hatte. Ich wollte hören, wie es um seine Gefühle bestellt ist. Basierte unsere Liebe früher nicht auf Ehrlichkeit? Wir haben unsere Gefühle viel zu lange verdrängt und einfach von Tag zu Tag weitergelebt ...
Ja, als ich heute Morgen wach wurde, habe ich mich wirklich auf dieses Gespräch gefreut, darauf, endlich alles herauszulassen .
Wie dumm von mir.
Vor vierundzwanzig Jahren habe ich meinen Vater gehen lassen, ohne ihn aufzuhalten. Vielleicht sollte ich es mit Richard genauso halten.
Tschüss, Richard, ich wünsche dir noch ein schönes Restleben.
Ich finde ihn in der Küche.
»Hier, ich habe für dich Toast gemacht.« Er hält mir einen Teller entgegen.
»Nein, danke. Ich bringe im Moment nichts herunter.«
»Bitte, Fran, iss den Toast. Was hast du heute gegessen?«
»Nichts«, erwidere ich, ohne ihn anzusehen. »Richard ... Es tut mir leid, dass du mich in so einem Zustand gefunden hast. Ich schätze, das lag an dem vielen Stress ... Hör mal, was hältst du davon, wenn du morgen wiederkommst? Die Kinder werden bis Mittag zurück sein. Dann kannst du sie sehen.«
Richard beugt sich über den Tisch. Sein Brustkorb hebt sich, um einen tiefen Seufzer herauszulassen. »Bitte, Fran, du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen, okay? Das ist alles ... meine Schuld .«
Da hast du verdammt noch mal recht, liegt mir auf der Zunge, aber ich verkneife es mir.
Richard steht das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, als er mich ansieht. »Wahnsinn, aber was habe ich erwartet? Ich habe dich im Stich gelassen, Fran. Kein Wunder, dass du hier bis zur Bewusstlosigkeit –«
»Ich habe geschlafen .«
Richards Augenbraue wandert nach oben. »Wie auch immer ...«, sagt er. »Sieh doch nur, was du dir antust. Das ist schlimm.«
Ich blicke an mir herunter und sehe ein Chaos. Schlecht sitzende, gammlige Jeans, zerknittertes T-Shirt. Okay, in diesem Punkt hat Richard recht. Ich sehe wirklich schlimm aus.
»Du hast eine völlig falsche Vorstellung«, sage ich und schüttle den Kopf. »Ich bin momentan nur ziemlich im Stress, und das war ein einmaliger Ausrutscher und –«
»Wir müssen reden«, fällt er mir ins Wort.
» Nein .«
Dafür ist es längst zu spät.
»Oh doch, Fran. Ich muss dir einiges erklären. Ich fühle mich nämlich grauenvoll.« Richard unterbricht sich kurz und blickt mich flehentlich an. »Bitte, setz dich.«
Er zieht einen der Barhocker unter der Küchentheke hervor. Die Metallfüße schleifen kratzend über die Bodenfliesen, und das Geräusch hallt in meinem Kopf wider. Während ich auf den Hocker klettere, schiebt Richard den Teller mit dem Toast zu mir und stellt den Wasserkocher an.
»Ich habe dich betrogen«, beginnt er. »Das will ich gar nicht beschönigen. Aber ... ich muss es dir erklären.« Er holt tief Luft. »Soll ich dir sagen, was ich an Bel so anziehend fand?«
Warum tut er mir das an? Die bloße Erwähnung ihres Namens bringt
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