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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
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waren.
     
    Seine Stimme zitterte leicht. Es war nicht lange, nur ein paar Sekunden, wie ein Zögern, ein Schwanken, aber sämtliche Neurosen der Welt hätten darin Platz gefunden. Unter meinen Fingern habe ich gespürt, wie sich die Haut spannte, der Arm verkrampfte, ich habe getan, als bemerkte ich nichts. Offensichtlich hatte sich Jack noch nicht völlig von seinem blitzartigen Aufstieg und seinem brutalen Absturz erholt. Eine üble Erinnerung, schlecht erstickte Brände lebten in ihm weiter.
     
    Ich erinnerte mich an die entsprechenden Ausführungen McGills. Bei dieser Gelegenheit haben meine Polizistenreflexe wieder die Oberhand gewonnen. Und ich habe mich unwohl gefühlt. Ich war nicht besonders daran interessiert, dass dieses Heraufbeschwören der Vergangenheitseine Wunden wieder öffnete und obendrein meine Polizistenneugier wieder weckte. Ich sagte: »Lass uns von etwas anderem reden.« Jack antwortete nicht, was seine Art der Zustimmung war. Er presste sich noch enger an mich. Ich hatte das Gefühl, ein kleines Kind in meinen Armen zu halten.
     
    Nach dem Bad habe ich seinen Körper mit einem billigen, etwas rauen Handtuch abgetrocknet, mit dem ich ihn mehr abtupfte als abrieb, um seine Haut nicht zu reizen. Ich suchte seine Augen, er überließ sie mir willig. Bis dahin glaubte ich, ein solcher Absturz sei auf den ersten Blick nicht so fürchterlich. Es gab grausamere Schicksale, als einfach von seinem Sockel zu fallen. Dennoch habe ich in seinem jammervollen Gesicht Qualen, unerhörte Nervenschmerzen und peinliche Erinnerungen gesehen, die mit Scham, Rachegefühlen und Wut durchsetzt waren. Ich habe mich damit abgefunden, dass bestimmte Türen für mich versperrt sind, dass bestimmte Schlösser nicht aufspringen werden.
     
    Ich versuchte, mir den Fall eines Engels auszumalen: Die Schmarotzer, die das neue Idol umgeben und gute und weniger gute Ratschläge erteilen, die Journalisten, die bereit sind, das Spiel mitzuspielen, und doch nur auf den ersten falschen Schritt lauern, die Größen, die deine Gegenwart und dein affektiertes Verhalten auf den momentan angesagten Festen erforderlich und nötig machen, der übereilt gedrehte Film, der vorzeitig herauskommt, um auf der Erfolgswelle zu schwimmen, und kläglich scheitert, das wenig schmeichelhafte Echo, die gehässigen Kritiken, die bösartigen Gerüchte, die um sich greifende Unruhe undSkepsis, der zweifelhafte Umgang, der schlecht bewältigte Umschwung, das, ohne zu rechnen, mit leichter Hand ausgegebene Geld, die zu vielen Gläser, die Linien von Koks am frühen Morgen in den Badezimmern aus Marmor, die zu kurzen Nächte, der Körper, der nicht mehr gehorcht, und eines Tages der fatale Fehler, der Fotograf am falschen Ort, im ungünstigsten Augenblick, das Foto, das tötet, der junge Mann, auf frischer Tat ertappt, die Linie zu viel am Rand eines Swimmingpools am Ende eines chaotischen Abends, die sofort beginnende Hetzjagd, die »Freunde«, die sich davonstehlen, die Kommentatoren, die ihre Geschütze auffahren, die Bewunderer, die auf Tauchstation gehen, das Telefon, das nicht mehr klingelt, der kaputte Organismus, der seinen Stoff verlangt; und das Königskind landet in der Gosse. Es bedurfte keiner großen Anstrengung, mir dies auszumalen.
     
    Mein Gefühl war, dass es vielleicht noch etwas anderes gab, einen scheußlichen Unfall, eine geheim gehaltene Episode, irgendeine Gewalttätigkeit, die einen für immer verfolgt. Aber ich habe nie nach einer Bestätigung gesucht. Das gehört zu den weißen Seiten von Jack Bell. Sie wissen schon, jene Seiten, die man sich nicht zu schwärzen traut, aus Angst, ein Dritter könnte sie eines Tages lesen.

 
    Ich habe die Fahrt von Sonntagabend nicht vergessen, das tiefe Schweigen zwischen Jack und mir in dem mit hoher Geschwindigkeit dahinrasenden Wagen, das Schweigen vor den Trennungen. Das Schweigen bei der Hinfahrt war voller Versprechungen, Begierden, Angst, Sonnenschein. Das der Rückfahrt war gesättigt mit Nacht, Bedauern, Gefahren. Der Pazifik lag da wie eine schwarze, feindliche Masse. Die Städte, durch die wir fuhren, bewahrten die Erinnerung an die Stunden, welche den Umarmungen vorausgegangen waren. Die verschlungenen Kilometer brachten uns zu dem Leben davor zurück. Das, was uns erwartete, missfiel uns dunkel, selbst wenn keiner von uns wagte, über das, was uns erwartete, Worte zu verlieren.
     
    Ich durchlief widersprüchliche Zustände. Die Reise schien mir endlos lang, ich hätte gern

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