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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
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Defilée der Freier noch jung. Aber himmelweit entfernt von Jacks Weichheit undvon seinem Geruch. Ich habe das Gefühl, eine Leiche zu umarmen. Ja, einen Toten zu berühren. Dieses Fleisch ist nicht mehr wirklich lebendig, der Körper vibriert nicht. Inwendig ist alles tot. Meine Erregung fällt auf der Stelle in sich zusammen.
     
    Ich ziehe mich wieder an, ohne zu wagen, den Jungen anzuschauen. Ich lege die fünfzig Dollar auf das Laken, er stellt mir keine Frage. Ist er an solche Männer gewöhnt, die schlappmachen, die von Schuldgefühlen oder Abscheu erfasst werden? Ich glaube vor allem, dass ihn meine Gründe nicht im Geringsten interessieren. Er zieht sich wieder an, ohne sich zu entschuldigen.
     
    Er hat allen Grund, sich nicht zu entschuldigen. Sein Körper ist nicht abstoßend. Er müsste eigentlich Gefallen erwecken. Das Problem liegt bei mir, natürlich. Nur bei mir. Es gibt nur einen Mann, mit dem ich schlafen kann. Diese Entdeckung sollte mich beruhigen. Aber wenn ich bedenke, dass dieser einzige Mann nicht mehr für mich da ist, verheert sie mich.

 
    Wir sind bis Sonntagabend in Monterey geblieben und haben das Motel nur verlassen, um zu telefonieren oder einen Bissen zu uns zu nehmen. Die übrige Zeit verbrachten wir im Schutz der raschelnden Betttücher, in der Schläfrigkeit des Zimmers. Wir haben uns geliebt, heftig. Und uns auch dem Müßiggang überlassen, einem schönen, sehr sanften und sinnlichen Müßiggang. Ich erinnere mich, wie Jack seinen Kopf auf meinen Oberkörper legte, zur Decke hochblickte, die quälende Bewegung der Ventilatorblätter beobachtete und eine Zigarette rauchte, meine Augen blickten ins Leere, ich dachte an nichts, während ich seine Brustwarze mit der Fingerspitze streichelte.
     
    Und dann, zwischen den Ruhepausen und den Umarmungen, haben sich Worte Bahn gebrochen, Worte, die sein vorheriges Leben und meines erzählten, die die Leerstellen ausfüllten, über die man sich für gewöhnlich lange vor dem ersten Kuss austauscht. Dabei hatte keiner von uns das Bedürfnis geäußert, mehr wissen zu wollen. Es machte einfach manchmal Spaß, einem Menschen, von dem man ansonsten jedes Stückchen Haut und die intimsten Regungen kannte, elementare Wahrheiten preiszugeben und wichtige Informationen zukommen zu lassen. Ja, es war gut, die Dinge in umgekehrter Reihenfolge zu machen. Bis zur Quelle zurückzugehen.
     
    Ein Bild schoss mir durch den Kopf: Man stellt sich einem Unbekannten vor, indem man ihm die Hand reicht, und dabei kennt man schon seinen Mund.
     
    Die Geständnisse waren fragmentarisch, zufällig hingeworfene Sätze, Dinge, die auf dem Umweg über eine Unterhaltung an den Tag kamen, seufzend oder zustimmend geäußerte Bruchstücke der Existenz, Antworten auf versteckte Fragen, Erinnerungen, die an die Oberfläche aufstiegen und die man austauschte. Keine großen Reden, keine Autobiographie, nichts dergleichen.
     
    Noch heute gibt es ganze Seiten von Jacks Leben, die ich nicht kenne, und er selbst ist gegangen, ohne dass ich die Schattenzonen durchschaue. Wir sind Fremde füreinander, in einer gewissen Weise. Bis auf das, was er von mir weiß, niemand wusste es besser als er. Und bis auf das, was er mir gezeigt hat, wer hat es gesehen, außer mir?
     
    Ich war ohnehin nicht sehr redselig, ich habe es schon erwähnt. Und Jack war auch nicht sehr gesprächig. Man hätte denken können, ein Schauspieler, der an Interviews gewöhnt ist und an auf einem roten Teppich geäußerte Sätze, der vor allem darin geübt ist, sich zu zeigen, sich darzustellen, würde sich ohne Schwierigkeiten, vielleicht sogar ohne Scham, zu erkennen geben, aber genau das Gegenteil ist eingetreten. Mir gegenüber hat Jack immer eine gewisse Scheu bewahrt. Im Gegenzug gefiel ihm meine Diskretion. Mir gegenüber fühlte er sich nicht gezwungen, alles erklären zu müssen. Ich habe ihm obszöne Nachforschungen erspart.
     
    Und offensichtlich ist da noch etwas: Die Journalisten belog er, er verbrachte seine Zeit mit Lügen. Vor ihnen fuhr er fort zu spielen. Er stellte die Person Jack Bell dar, den ehemaligen Kinderstar, den aus der Versenkung zurückgekehrten Schauspieler, den reuigen jungen Mann, den unverbesserlichen Verführer, den umschwärmten Junggesellen. Ich erkannte sehr rasch, dass dieses Porträt ein Schwindel war. Ich habe ihm Täuschungsmanöver erspart.
     
    Letzten Endes habe ich in jenen Stunden meines Vasallentums das Unausgesprochene, die Zwischenräume, das Schweigen, die

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