Venice Beach
und tiefen Tonfall der Cowboys von Wyoming kannte. Das wenige Spanisch, das er sprach, hatte er bei den Puerto Ricanern seines Viertels gelernt. Für sie war er ein Ausländer. Und das war er tatsächlich.
In diesem Zusammenhang fällt mir dieser gemeinsame Augenblick von uns ein: Wir liegen ausgestreckt eng nebeneinander, der Schweiß perlt von unseren Schultern auf unsere Bäuche, und ich bitte Jack, ein paar Worte auf Spanisch zu sagen; zuerst zögert er, aus Angst, lächerlich zu wirken, versichert, sein Akzent sei fürchterlich, erfindettausend Entschuldigungen, um meiner Bitte auszuweichen, und gibt, als ich darauf bestehe, schließlich nach und tut es. Er beginnt also, seine Stimme ist stockend, er stolpert über die Worte, ist unsicher in den Konjugationen, den Kongruenzen, irrt sich. Ich beteure, dass ich in dieser Sprache nichts verstehe, dass er also fortfahren kann, ohne meinen Spott fürchten zu müssen. Er setzt seinen merkwürdigen Monolog fort, seine Redeweise wird flüssiger, sicherer. Ich höre Jack reden und tue so, als lauschte ich einer sanften Musik, deren Worte ich nicht verstehe, so, wie man ein Lied in einer fremden Sprache anhört. Und dann verlangsamt sich seine Redeweise, man könnte meinen, sie enthalte plötzlich eine gewisse Feierlichkeit. Die Worte, die Jack nun ausspricht, sind Liebesworte, und das bringt mich völlig aus der Fassung. Ich antworte nichts. Er erwartet keine Antwort, weil er nicht erwartet, dass ich sie verstehe. In Wirklichkeit hat die spanische Sprache, aus Gründen, die ich hier nicht erklären kann, kaum Geheimnisse für mich. Ich werfe mich auf ihn, presse meinen Mund auf den seinen, ich verrate ihm nicht, dass mir nichts von seinen spanischen Geständnissen entgangen ist.
Jack hat mir auch von den ersten Tagen in einer nicht besonders reizvollen, aber sehr sauberen Wohnung erzählt, deren Fenster auf die Curson Avenue gingen. Er hatte ein Zimmer ganz für sich allein. Seine Tante war unverheiratet. Frauen wie sie, die von vornherein eine so strenge Miene zeigen, entmutigen die Männer, auch wenn sie eine Wespentaille und schlanke Beine haben, hat er hinzugefügt. Jenny war kinderlos, er nahm sie nicht an Mutters Statt an, die Sache war von Anfang an klar.
Eines Abends, als sie vom Büro nach Hause kam, hatte sie gesagt: »Würdest du gern in einem Werbespot mitspielen?« Man suchte einen zehnjährigen Jungen mit einem Engelsgesicht. Sie hatte ein Foto von ihm gezeigt, und die Leute von der Agentur hatten sich interessiert gezeigt. Um ihn zu überreden, fügte sie hinzu: »Es kostet dich nur einen Tag.« Aber er musste gar nicht überredet werden. Er hatte, ohne zu überlegen, ja gesagt. Drei Jahre und ein paar Auftritte später debütierte er im Kino in einem zweitklassigen Film, der für Teenager bestimmt war und dessen Erfolg alle, selbst die Produzenten, überraschte.
Im Jahr darauf war es
Dérive
, irgendetwas zwischen
Harold und Maude
und
Tod in Venedig
, aber in einer für Hollywood typischen Version. Die Geschichte einer alternden Filmdiva, die in den Bann eines Heranwachsenden gerät, von dem man bis zum Ende nicht weiß, ob er unschuldig oder pervers ist. Ein kurzer Blickwechsel mit Gloria Swanson, die die große Treppe in
Sunset Boulevard
hinabschreitet. Und ein umwerfender Auftritt, ein wenig wie dieser Typ, ich glaube Brad Pitt, ihn gerade in einem Film hatte, der vor ein paar Wochen angelaufen ist,
Thelma und Louise
. Der pure Sex!
Im Grunde war die Laufbahn Jack Bells märchenhaft. Eine Waise aus Middle West mit einem unmöglichen Akzent wurde von heute auf morgen zum Star. Die Zeitschriften rissen sich um ihn. Alle Jungen träumten davon, ihm zu gleichen, alle Mädchen, ihn zu küssen. Und alle Eltern erlagen seinem Charme. Was konnte man mehr verlangen?
Seelisches Gleichgewicht, vielleicht.
Er behauptete, dass plötzlicher und zu früher Ruhm sicherer zerstören könne als ein auf die Schläfe gerichteter Revolver.
Wir lagen ineinander verkeilt im lauen Badewasser. Jacks Rücken ruhte auf meinem Geschlecht, meinem Bauch, meinem Oberkörper, sein Kopf fiel nach hinten und lehnte auf meiner Schulter, ich streichelte seine seifige und warme Haut, ich spielte mit den Haaren, die von seinem Bauchnabel bis zu seiner Scham verliefen, und dabei hat das Fleisch fast unmerklich gebebt. Hinterher habe ich verstanden, dass plötzlich die Bilder einer Jugend in Form eines Looping in Doppelbelichtung vorbeigezogen
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