Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
betrachtete Loki seinen Cousin mit einem neugierigen, fast überraschten Blick. Schließlich richtete er sich im Sitzen auf. »Was muss ich machen, Chester?«
Chester deutete auf das Bett. »Am besten setzen wir uns auf die Matratze. Oder legen uns hin. Auf jeden Fall sollte es bequem sein.«
»Gut.« Loki stand auf, schlüpfte aus seinen Schuhen und setzte sich im Lotussitz auf das Bett, mit dem Rücken zum Kopfteil. Sein Blick fand Tim, während sich Chester ihm gegenüber niederließ, und erst, als sein Cousin ihm mit einem Augenrollen zugenickt hatte, sah Loki den Schülersprecher wartend an.
Tim rauchte unterdessen seine Zigarette und beobachtete das Geschehen. Er wollte auf der Stelle nach Sibirien auswandern, wenn sein Cousin auch nur einen Schritt in ihrem Fall weiterkam mit diesem Blödsinn.
»Sie haben es bequem? Gut. Zuerst müssen Sie sich vollkommen entspannen. Am besten schaffen Sie das mithilfe einer Atemtechnik. Sie –«
»Ich beherrsche sowohl die Pranayama-Praxis als auch die des Ānāpānasati-Sutta«, unterbrach Loki. »Welche empfiehlst du?«
Nicht nur Chester war überrascht. Auch Tim starrte seinen Cousin an, der den Blick allerdings nicht erwiderte. Er blieb mit geradem Rücken sitzen und betrachtete Chester aus halb geschlossenen Au gen, als sei er gerade dabei, einzuschlafen.
Chester räusperte sich. »Sie meditieren?«
Ein leichtes Lächeln spielte um Lokis Lippen. »Die Wirksamkeit von Atemübungen auf die Psyche und damit wiederum auf die körperliche Verfassung – ein Kreislauf, der nicht unbedingt in dieser Reihenfolge stattfinden muss, wie ich denke – sind wissenschaftlich erwiesen. Verfeinertes Atmen führt zu einer ganzen Reihe von erfreulichen Wirkungen, die ich nicht missen möchte. Beispielsweise brauche ich nicht mehr so viel Schlaf und bin dennoch jede Stunde des Tages munter. Meine ausgezeichnete Gesundheit dankt es mir. Ich wäre also ein Narr, wenn ich es trotz dieses Wissens nicht täte. Überdies bin ich Raucher und sichere mir somit eine gut belüftete Lunge. Können wir also fortfahren?«
»Okay.« Der Schülersprecher zog die Beine an und schlug sie unter. »Es ist egal, welche Atemübung Sie machen. Hauptsache, Sie werden innerlich ruhig und sind konzentriert.«
Loki nickte.
»Gut. Ich werde nach der Atempraxis in meinem Geist einen Raum erschaffen, einen sehr schlichten Raum, mit nur einem Möbelstück. Diesen Raum halte ich aufrecht und erreichbar. Sie werden versuchen, Zugang zu diesem Raum zu finden. Wenn Ihnen das gelingt, dann müssten Sie mir im Anschluss sagen können, welches Möbelstück wo gestanden hat.«
Tim stieß ein Schnauben aus. »Dachgeschoss, Kloschüssel.« Er lachte. »Hast du das schon mal geschafft, Chester? Ernsthaft?«
Der Schülersprecher sah zu Tim. »Habe ich. Aber, wie gesagt, ich halte das trotzdem für Blödsinn. Ich sehe da einfach keine Gabe, jedenfalls keine Filii Iani-Gabe.« Er erwiderte Tims spöttisches Grinsen. »Ich kenne meine Mitschüler sehr gut und glaube, ich habe gewusst, welches Möbelstück in welchem Raumabschnitt steht, eben weil ich den Erschaffer kenne.«
»Empathie«, erwiderte Loki leise. »Wenn dies keine Gabe ist, bin selbst ich überfragt.« Sein Blick fand Tim. »Johnny, wie wäre es, wenn du deine Arbeit erledigst?«
»Schon gut, ich halte die Klappe.« Tim drehte sich um, nahm den Jahresrückblick von 2009 und fing an, in ihm zu blättern.
»Ich beginne jetzt«, sagte Chester.
Ein paar Sekunden vergingen, dann drehte Tim den Kopf und sah wieder zu den beiden hinüber. Sie hielten die Augen geschlossen und saßen vollkommen still. Tim unterdrückte einen Seufzer und wandte sich wieder der Zeitung zu. Gelangweilt fing er an, zu lesen.
Dreiundvierzig Minuten waren vergangen, als Lokis Handy losschrillte. Tim hatte die Zeitung zur Hälfte durch. Er wusste jetzt unter anderem Bescheid über die Ergebnisse einer Untersuchung der Kieler Pflanzenwelt und deren Entwicklung in den letzten zweihundert Jahren, über die Praktika einiger Achtklässler sowie über die Einführung vegetarischen Essens in der Kantine.
Aufatmend griff Tim nach dem Handy, das vor ihm auf dem Tisch lag, sprang auf die Beine und lief ins Badezimmer, um die beiden Imaginationskünstler nicht zu stören. Er hob ab und hörte eine Weile nur Rauschen und Sirenengeheule.
»Hallo?«, sagte Tim mehrere Male.
»Von Schallern? Sind Sie’s?«
»Nein, hier ist Jung. Von Schallern ist gerade verhindert.«
»Ah, Sie. Hier
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