Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
auch, weil ich beinahe den Verstand verlor. In der Zeit im Krankenhaus fing ich an, die Imagination zu benutzen, um mich dem Schmerz und der Trauer zu entziehen. Ich benutzte die Imagination, um Erinnerungen raufzuholen, die mit Hora und Margit in Verbindung standen. Ich wollte sie wieder lebendig werden lassen.« Das habe gut getan, meinte der Direktor, und er habe sich eingeredet, er tue das, damit er Abschied nehmen könne. Allerdings sei das »mächtig in die Hose gegangen, um es auf Deutsch zu sagen.«
Die grauen Augen musterten Tim, blieben anschließend wieder auf Loki liegen. »Die Imagination hat der Imago in der Hand. Das soll heißen, der Imago befehligt, was geschehen soll. Es kann innerhalb der Übungen einen passiven und einen aktiven Part geben, beispielsweise wenn einer der Übenden in ein imaginäres Bild des anderen eindringen soll, aber man hat dabei immer die Kontrolle. Man kann jederzeit aufhören und die Augen aufmachen, und damit endet die Imagination.«
Er zog an der Zigarillo und sagte, er habe innerhalb kurzer Zeit diese Kontrolle verloren. Die Imaginationen hätten sich verselbstständigt, und er habe nichts getan, um das zu verhindern. Margit sei vollständig aus seiner Erinnerung verschwunden, und Hora hätte darin eine übergeordnete Rolle eingenommen. Hora sei immer eine Art Vorbild für ihn gewesen, erklärte Veden abgekämpft, beinahe wie ein Vater. Innerhalb der Imagination habe sich dieses Bild überspitzt und Hora sei zu mehr geworden.
»Wir redeten in Gedanken miteinander, nicht mehr nur in Worten. Die Imagination erschuf in mir ein wahnsinniges, irres Abbild dieser Welt, voll von seelenlosen, bestechlichen und drogenabhängigen Menschen. Ein Szenario, wie man es in manchen Katastrophenfilmen zu sehen bekommt. Ich tauchte kaum noch auf aus diesen Imaginationen, es war nicht notwendig. Ein Jahr lang saß ich im leeren Haus meiner Eltern, umgeben von einem Butler und einer Haushälterin und befand mich – bis auf einige wenige Ausnahmen – in dieser irren Welt.«
»Eine Welt mit Zombies, was?«, unterbrach Tim.
Der Direktor nickte langsam. »Wir nannten sie Seelenlose. Hora kochte Drogen. Mithilfe der Drogen konnte man die Zombies ruhigstellen, und man konnte die Polizei bestechen. Ist das nicht vollkommen verrückt?« Sein Lachen war alles andere als fröhlich. »Wir dachten, wir müssten durch die Imagination in meine Erinnerungen zurückreisen, um herauszufinden, wann die Welt geworden ist, wie ich sie in der Imagination sah.«
Hora und er seien überzeugt gewesen, fuhr er fort, dass sie verantwortlich dafür wären. Ob sich Tim und Loki das vorstellen könnten? Ob sie wüssten, was das bedeute, wollte er wissen, während ihm eine einsame Träne über die Wange lief. »Ich habe in der Imagination eine neue erschaffen. Stellen Sie sich vor, Kinder spielen mit Puppen. Diese Puppen wiederum lassen die Kinder ebenfalls mit Puppen spielen. Und mit diesen Puppen stellen sie die reale Welt nach. So ungefähr lief das ab, nur dass ich – als Puppe – um mich herum eine apokalyptische Welt erschaffen hatte. Und eigentlich hätte ich nur die Augen aufmachen müssen.«
Loki legte den Kopf leicht schief. »Aber das haben Sie nicht getan. Und irgendwann war es dafür schließlich auch zu spät.«
»Ja. Jetzt weiß ich, wie nah die Gabe der Imagination an den Wahnsinn grenzt. Und es gab nur einen Ausweg aus diesem Wahnsinn: Ich musste mich innerhalb der Imagination erinnern. Das tat ich durch Zufall, als ich in den imaginären Erinnerungen auf den Unfall stieß. Ich erwachte in der ersten Imaginationsschicht – ich nenne Sie jetzt so, damit Sie besser verstehen können – und sah mich Hora gegenüber. Dem fiktiven Hora, natürlich nur eine Wahnvorstellung, eine völlig übertriebene Ausgabe des echten.«
Er habe angefangen, an der Imagination zu zweifeln und erkannt, dass er sich nicht mehr in der Realität befunden habe. Als er einen kurzen Augenblick, nur einen Moment lang, aus ihr erwachte, habe er dem Butler befohlen, sofort die Vereinigung anzurufen und nach einem Psychiater zu fragen, der sich damit auskannte. Er habe den armen, alten Butler fast zu Tode erschreckt.
Wieder erschien das freudlose Lächeln, das sich über das ebenmäßige Gesicht legte wie eine Nebelschwade über ein Flussufer. »Aber er tat, was ich wollte, und einen Tag später riss mich der Psychiater mithilfe von Medikamenten endgültig aus dieser Traumwelt.« Veden streckte den Arm aus, zog eine
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