Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
draufgängerisch mit seiner Kampfkunst: Er war in Gedanken. Was auch nicht weiter verwunderlich war.
Mit einem Seufzen stellte sich Tim darauf ein, dass diese Sache nicht spannender werden würde als die Schneckentempofahrt.
*
Tina Winter parkte ihren roten VW Golf zwischen zwei riesigen Lindenbäumen, zog den Schlüssel aus dem Zündloch und blieb einen Augenblick sitzen, um die Umgebung auf sich wirken zu lassen.
Sie war in Kiel geboren und aufgewachsen, aber diese Schule war ihr völlig unbekannt. Bei ein oder zwei Schulausflügen waren sie nach Mönkeberg hinausgefahren, doch ihr war nie aufgefallen, dass sich hinter der alten, teilweise ruinösen Mauer ein instandgehaltenes Anwesen dieser Größe und, wie sie jetzt zugeben musste, Schönheit befand. Und am merkwürdigsten war, dass sie von der Schule weder gehört noch einen einzigen ihrer Schüler kennen gelernt hatte.
Eliteschulen standen doch auf Publicity, oder nicht? Gaben sie nicht mit ihren exquisiten prominenten Schülern und deren Errungenschaften ständig an?
Nun ja, wer vermochte schon zu sagen, was in den Köpfen der Oberschicht vor sich ging! Manchmal gaben sie sich eben genauso geheimniskrämerisch wie sie angeberisch waren.
Mit einem leisen Seufzen öffnete Tina die Wagentür, stieg aus und holte vom Rücksitz ihren flachen schwarzen Aktenkoffer. Sie ging über den Schotterparkplatz und auf das augenscheinliche Hauptgebäude zu, das sich zwischen den anderen Bauten majestätisch hervorhob. Auf dem gepflasterten Platz angekommen, musterte sie eine Gruppe junger Leute, die miteinander redend aus ebenjenem Hauptgebäude kamen und nach links abschwenkten. Sahen ganz normal aus, wie gewöhnliche Jugendliche. Tina zuckte die Schultern.
So, und wohin musste sie nun?
»Guten Tag, Tina.«
Überrascht drehte sie sich um und sah Loki von Schallern hinter sich stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, ein unergründliches Lächeln im fein gemeißelten Gesicht. Verwundert musterte Tina noch einmal die Umgebung, konnte sich aber beim besten Willen nicht erklären, von woher der Mann aufgetaucht war. Weit und breit gab es keine Versteckmöglichkeiten, und sie hätte ihn beim Näherkommen sehen müssen, immerhin war sie selbst gerade erst hier angekommen.
»Hallo«, erwiderte sie und nahm sich einen Augenblick, um ihn zu mustern.
Ihr erster Eindruck war nicht falsch gewesen: Er war kein gut aussehender Mann im herkömmlichen Sinn, doch irgendetwas an seiner Ausstrahlung machte ihn doch dazu. Er besaß so wache, stechende Augen – die, je nach Lichteinfall, von Grau zu Blau wechselten, wie sie jetzt feststellte; im Augenblick verhalf das Tageslicht ihnen zu einem verwaschenen Himmelblau –, dass Tina ständig das Gefühl hatte, er durchschaue sie. Seine geradezu gleichgültige Distanz, die er sowohl ihr als auch seinem Kollegen entgegenbrachte, stand dazu im Widerspruch.
Bisher hatte Tina mit Männern nur Pech gehabt, denn sie geriet ständig an gefühlskalte Arschlöcher. Ihre Therapeutin führte diese Affinität auf den distanzierten Vater zurück, der seiner Tochter kaum eine Emotion offenbart hatte. Wahrscheinlich hatte sie damit auch Recht. Und Tina war sich im Klaren darüber, dass sie sich aus genau diesem Grund zu dem Mann hier hingezogen fühlte, wenngleich er überhaupt nicht in das Raster ihrer vorherigen Beziehungen passte. Dafür war er zu kultiviert und intelligent. Doch ob das etwas änderte? Sie wusste es nicht. Womöglich würde sie es herausfinden – Tina rechnete sich eine gute Chance aus.
»Darf ich Sie in meine bescheidene Unterkunft einladen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging los.
Tinas Finger schlossen sich fester um den Griff der Aktentasche, während sie Loki folgte. Sie beobachtete seine fast unnatürlich gerade Gestalt, die merkwürdig schleichend wirkte, wenn er ging. Da sie selbst seit einigen Jahren Yoga machte, kannte sie diese Gangart: So außerordentlich aufrecht hielten sich nur körperbewusste Menschen, Tänzer beispielsweise. Wahrscheinlich war diese schlanke, fast magere Gestalt, die sich unter Jackett, Hemd und dunkler Stoffhose verbarg, alles andere als schmächtig. Höchstwahrscheinlich war sie sogar sehr kräftig.
Sie umrundeten das Hauptgebäude und folgten einem schmalen Weg aus weißen Pflastersteinen in die weitläufigen Rasenflächen hinein. Einige Meter in der Ferne, auf einem vergleichsweise flachen Boden, sah Tina einige Schüler, die in seltsamer
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