Venus allein zu Haus
in meinem Element. Auf geht’s in die Innenstadt, wo wir P&C, Biba und C&A unsicher machen. Ja doch, schicke Mode muss (und darf in diesem Fall) nicht teuer sein. Da passe ich mich natürlich dem Geldbeutel meiner Kundschaft an. Den Termin beim Friseur habe ich schon heute Morgen gebucht und um halb fünf sitzt Hannah auf dem Friseurstuhl und wird, während sie meinen Anweisungen an Flo lauscht, immer kleiner und kleiner.
»Also, sie braucht einen richtig feschen Kurzhaarschnitt,
schön fransig an den Seiten. Und wir wollen zurück zur Naturhaarfarbe.«
»Rot?«
»Genau.«
»Da müssen wir erst voll blondieren. Das greift die Haare ziemlich an.« Hannah wimmert verschreckt, und ich lege ihr beruhigend meine Hand auf die Schulter.
»Keine Sorge, bei der Frisur ist das kein Problem. Die kaputten Längen kommen ja weg.«
»Aber«, wirft sie zaghaft ein, »Schlotti mag langes Haar bei Frauen.« Mit einem verächtlichen »Pffhh«, wische ich diesen Einwand vom Tisch und gebe Flo das Zeichen, loszulegen. Schlotti. Schlotti sollte erst mal lernen, seine Frau überhaupt zu sehen. Und was heißt hier eigentlich seine Frau? Hannah hat mir erzählt, dass er keine Anstalten macht, sie zu heiraten, obwohl sie seit vielen Jahren zusammen sind. Vielleicht, weil der Sex mit anderen Frauen dann zu außerehelichem Sex werden würde? Na, wir werden sehen, ob der seine Meinung nicht ändert, wenn er die neue Hannah zu Gesicht bekommt. Versonnen betrachte ich Flo, der wie ein Kobold um sie herumschwirrt. Der vierte schwule Mann der letzten Zeit, wie mir gerade bewusst wird, aber das macht mir in diesem Fall nichts aus. Im Gegenteil! Ein Friseur muss schwul sein! Nur dann kann man nämlich mit ihm stundenlang über Haarkuren und Nagellack, schräge Ponyfransen und den neuesten Klatsch aus der Königsfamilie tratschen. Nein, dass Flo schwul ist, das ist schon okay! Außerdem macht er aus Hannah gerade ein echtes Kunstwerk.
Die ist zwar erschöpft, aber überglücklich, als sie nach gut neun Stunden vor ihrem Reihenhäuschen aus meinem Auto steigt, bepackt mit mehreren prall gefüllten Plastiktüten und kaum wieder zu erkennen.
»Der Heiner wird Augen machen«, sagt sie und ihre braunen Augen strahlen.Vor freudiger Erwartung, klar. Der goldene Lidschatten, der perfekt zu ihrer Augenfarbe passt und sie betont, tut ein Übriges.
»Das wird er sicher«, nicke ich bestätigend. Sie lächelt in sich hinein. Oh nein, den Blick kenne ich. Jetzt malt sie sich gerade aus, wie Heiner sich heute Abend begeistert auf sie stürzen wird und was die beiden dann alles miteinander veranstalten werden. Was ich, nebenbei gesagt, gar nicht so genau wissen will. Davon abgesehen: Ist es nicht einfach ungerecht, dass ein Mann seine Frau wie ein Möbelstück (oder schlechter) behandelt und dafür zum Schluss zur Belohnung eine topgestylte Partnerin und den Sex seines Lebens bekommt? Irgendwas läuft da doch schief. Hannah jedenfalls ist augenscheinlich glücklich wie schon lange nicht mehr. Vielleicht schießt sie den blöden Kerl ja auch ab und sucht sich was Netteres, jetzt mit neuem Look und dem aufpolierten Selbstwertgefühl. Ich gebe die Hoffung nicht auf.
»Also, du schickst mir dann die Rechnung, Helen, oder?«
»Mache ich.«
»Und du kommst nächsten Mittwoch um die gleiche Zeit?«
»Unbedingt.« Neue Klamotten und ein Friseurbesuch waren ja schon ganz nett, aber das ist erst der Anfang. Natürlich rücke ich nicht gleich am ersten Tag mit allen Tipps und Tricks raus. Ich muss doch schließlich auch leben, oder? Außerdem ließe sich eine Komplettberatung gar nicht an einem einzigen Tag machen. Natürlich habe ich auch Kunden, die sich nur in einem bestimmten Bereich von mir helfen lassen und damit zufrieden sind. Lieber sind mir aber Langzeitprojekte. Meine Beratung kann
sich, wenn gewünscht, auf beinahe jeden Lebensbereich ausweiten, wobei mir meine Unentschlossenheit, was die Berufswahl nach dem Abitur anging, heute sehr von Nutzen ist. Ich bin nicht nur ausgebildete Aerobictrainerin und Kostümbildnerin, sondern habe auch diverse Praktika und eine halb fertige Ausbildung als Diätassistentin hinter mich gebracht. Der nächste Schritt für Hannah besteht jetzt in einer ausführlichen Make-up-Schule, gefolgt von einer Ernährungsberatung und der Erstellung eines Gymnastikprogramms für zu Hause. Und danach schauen wir mal weiter. Winkend fahre ich von dannen und beobachte im Rückspiegel, wie Hannah sich mitsamt ihren Einkäufen durch das
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