Venus allein zu Haus
neun. Benommen setze ich mich auf. Was für ein Albtraum. Während ich noch versuche, einen klaren Kopf zu bekommen, bemerke ich aus den Augenwinkeln schon, wie Sophia es sich auf dem Korbsessel neben dem Fenster bequem macht. Ja, schon klar, das gefällt ihr. So ein Traum ist natürlich ein gefundenes Fressen.
»Du willst mir doch nicht allen Ernstes weismachen, dass ich mir Jan ausgesucht habe, weil er eigentlich schwul ist, oder?« Sophia sieht mich nur mit schief gelegtem Kopf an. »Ja, mein Vater wollte, dass ich ein Junge werde und Jan hätte lieber, dass ich ein Mann wäre, willst du das damit sagen? Das ist doch vollkommen verrückt.«
»Ich will dir gar nichts sagen, meine Liebe. Dein Unterbewusstsein schon.«
»Woher soll ich denn bitte schön gewusst haben, dass Jan schwul ist? Das wusste er doch noch nicht einmal selber.«
Oder?
Dieser ganze Psychoquatsch macht mich wahnsinnig. Ich werde mich jetzt auf meinen Termin konzentrieren und morgen in der Therapie werde ich Sabine bitten, mir Sophia endlich irgendwie vom Hals zu schaffen. Und mit den Sitzungen bei ihr werde ich auch aufhören. Jawohl! Ganz ehrlich, bevor ich mit der Therapie angefangen habe, war ich wesentlich gesünder.
Durch das kleine hölzerne Gartentürchen betrete ich den Vorgarten von Frau Biergartens kleinem weiß getünchten Reihenhäuschen. Schlottermann/Biergarten steht auf dem Namensschildchen. Auf mein Klingeln öffnet eine rundliche Frau Ende vierzig. Auf den ersten Blick erfasse ich, dass ein gehöriges Stück Arbeit auf mich wartet: Viel
zu dunkle halblange Haare, blasse Haut, falsch gezupfte Augenbrauen, ein sackartiges Hauskleid, das wie ein Zelt über den üppigen Busen fällt, flache braune Sandalen. Aber ihr Lächeln nimmt einen sofort gefangen.
»Frau Ramien, nicht wahr?«, strahlt sie mich an und schüttelt mir die Hand. »Wie schön, dass es nun doch noch geklappt hat. Kommen Sie rein! Eine Tasse Kaffee? Oder Tee? Was Kaltes?«
»Tag, Frau Biergarten, ein Glas Wasser, wenn Sie haben, bitte.«
»Natürlich, selbstverständlich. Folgen Sie mir doch bitte in die Küche.« Auf dem Weg dorthin sehe ich mich aufmerksam um. Die Einrichtung der Wohnung sagt einiges über den Menschen aus, der dort lebt, und eine gute Beratung kann ich nur dann leisten, wenn ich das wahre Ich meines Kunden erkenne. Klingt hochgestochen, ist aber so. Und das Haus von Frau Biergarten erzählt mir eine ganze Menge. Sie ist eine Frau, die Schönes liebt. Alles sieht sauber und ordentlich aus und es steht eine Menge Dekokram herum. Plastikblumen, extravagante Vasen und Kerzenständer. Ein bisschen überladen für meinen Geschmack, aber um den geht es hier ja auch nicht. Ich wundere mich kurz, wieso jemand für seine Wohnung mehr sorgt als für das eigene Aussehen. Aber das werden wir ja jetzt ändern. Am Küchentisch sitzt ein großer grauhaariger Mann mit leichtem Bauchansatz und griesgrämigem Gesichtsausdruck. »Das ist mein Verlobter, Heiner Schlottermann und das ist Helen Ramien«, werden wir einander vorgestellt.
»Angenehm«, grunzt er, steht auf und schüttelt kurz meine Hand. »Ich muss los. Heute Abend wird es spät.«
»Auf Wiedersehen. Hab einen schönen Tag«, ruft Frau Biergarten ihm fröhlich hinterher, aber ich bemerke doch
den traurigen Blick, mit dem sie ihm nachschaut. Natürlich, er beachtet sie nicht mehr. Auch das wird sich ändern!
Eine Stunde später sind Hannah und ich per Du und inspizieren gemeinsam ihren Kleiderschrank. Nach meinem altbewährten System sortieren wir die Klamotten in drei Stapel: verwendbar, bedingt verwendbar und Altkleidercontainer. Der letzte Haufen ist am größten. Zielsicher hat Hannah bei ihren Einkäufen der letzten Jahre sowohl bei Farbe als auch beim Schnitt danebengegriffen. Sie geniert sich ein wenig, als ich sie bitte, sich mir in Unterwäsche zu zeigen, tut es dann aber trotzdem. Und welche Überraschung!
»Hannah, du hast ja eine richtige Wespentaille«, sage ich beeindruckt. Es stimmt. Großer Busen, ausladender Hintern, schmale Taille. So, wie man es sich wünscht. »Wenn du dich in diese weiten Kleider hüllst, dann sieht man ja gar nichts davon. So geht das nicht. Die Farben sind auch völlig falsch, du bist ein Herbsttyp. Wie bist du nur auf die Idee gekommen, dein Haar so dunkel zu färben? Was ist deine Naturhaarfarbe?«
»Rot«, haucht die verschämt. Ist das zu fassen?
»Natürlich rot. Und warum färbst du sie dir dann kackbraun? Das werden wir ändern!« Ich bin
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