Venus allein zu Haus
steht er auf und nimmt ihr eine davon ab. »Können wir dann?«
»Moment, ich muss noch meine Jacke holen, ich glaub, die liegt irgendwo im Flur.«
»Alles klar.« Wieder kommt er nicht auf die Idee, das Kleidungsstück möglicherweise für sie zu holen. Er hält mir eine Hand hin und hilft mir beim Aufstehen. Wir winken ein »Tschüs« in die Runde, und dann verlassen Bernd, Katrin und die Fahrgelegenheit die Party.
Das hätte ich mir ja denken können, dass Katrin nicht gerade um die Ecke wohnt. Wir sind schon gut zwanzig Minuten unterwegs, aber noch ist Jenfeld nicht in Sicht. Nach Hause werde ich noch einmal mindestens fünfundvierzig Minuten brauchen. Toll. Die beiden dagegen scheinen die Autofahrt zu genießen, sie schlürfen genüsslich ihr Bier aus der Flasche und reden in einer Tour. Wütend umklammere ich das Lenkrad und frage betont ruhig:
»Gibt es eigentlich einen Grund, warum ihr nicht zu dir fahrt?«
»Daniel steht auf Katrin, deshalb.«
»Dein Mitbewohner Daniel«, vergewissere ich mich schockiert.
»Genau. Wir wollen ihn nicht verletzen und deshalb …«
»Verstehe schon«, unterbreche ich und konzentriere mich lieber wieder auf die menschenleere Straße. Das hier träume ich doch wohl gerade, oder? Im Rückspiegel kann ich Katrins etwas zerknirschtes Gesicht sehen, doch schon nach einer halben Minute scheint das schlechte Gewissen verflogen zu sein und die beiden unterhalten sich wieder fröhlich. Na ja, mir kann es ja eigentlich egal sein. Zehn Minuten später sind wir endlich am Ziel, Katrin krabbelt aus dem Rücksitz hervor und gibt mir ein Küsschen auf die Wange:
»Vielen Dank, Helen, du, das war echt total nett von dir!«
»Keine Ursache«, sage ich lächelnd. Doch als Bernd sich zu mir runterbeugt, um sich ebenfalls zu verabschieden, werfe ich ihm einen bitterbösen, eisigen Blick zu.
»Lenchen, vielen Dank! Du hast was gut bei mir«, versucht er sich einzuschmeicheln.
»Allerdings«, flüstere ich böse.
»Du bist die allerbeste Freundin weit und breit.« Er greift nach meiner mittlerweile ziemlich geplätteten Locke und wickelt sie sich um den Finger. Das mag ja mit meinen Haaren funktionieren, aber bei mir ist das nicht so einfach.
»Genau, und du hast mich nicht verdient«, flüstere ich.
»Ach«, macht Bernd und nimmt meine Nasenspitze zwischen Zeige- und Mittelfinger, »immerhin habe ich dich heute Abend mit auf eine tolle Party genommen.« Noch ehe ich spöttisch das Gesicht verziehen kann, fährt er fort: »Gibs zu, du hast den ganzen Abend nicht ein Mal an Jan gedacht.« Er gibt mir noch einen Kuss auf die Nase und kraxelt aus dem Auto. Ja, danke, dass du mich dran
erinnert hast, denke ich, während ich beobachte, wie die beiden Arm in Arm im Hauseingang verschwinden. Diese schlecht sitzenden Kordhosen sehen wirklich unmöglich aus, schießt es mir noch durch den Kopf, bevor mir unerwartet und mit voller Wucht meine Einsamkeit bewusst wird.
Die Tränen laufen mir über das Gesicht, während ich mitten in der Nacht einmal quer durch ganz Hamburg fahre. Und das Schlimmste ist, ich will zwar dort weg, wo ich herkomme, aber eigentlich will ich auch nicht dorthin, wo ich hinfahre. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen und ich, die ich sowieso ziemlich nachtblind bin, sehe jetzt fast gar nichts mehr. Doch das Autofahren durch die dunklen Straßen, das pladdernde Geräusch der Regentropfen, wenn sie auf der Windschutzscheibe zerschellen, hat auch etwas Meditatives. Ich beginne über mein Leben nachzudenken. Im Moment läuft es nicht besonders gut, obwohl ich mich beruflich nicht beklagen kann. Die Ausladungskarte, die ja an fast alle meine Geschäftskontakte ging, war fast so etwas wie eine ungewollte Werbekampagne. Plötzlich will jeder etwas für mich tun, ich habe in der letzten Woche mehr als dreißig Anrufe von potenziellen Neukunden bekommen, denen ich allen empfohlen worden bin. Über eine mangelnde Auftragslage werde ich mich also in den nächsten Wochen nicht beklagen können. Aber schließlich ist Karriere doch nicht alles. Wie soll es denn bloß weitergehen mit mir? In einem Monat werde ich dreißig und hänge meinem Zeitplan hoffnungslos hinterher.
Eigentlich habe ich mir mein Leben so vorgestellt:
Mit 19 Abi, mit 23 erfolgreiche Kostümbildnerin beim Film, mit 25 verheiratet, mit 30 vierfache Mutter.
Und so ist es gelaufen:
Mit 19 Abi, mit 29 Typberaterin, Single und weit davon entfernt, Mutter zu werden.
Vor meinem inneren Auge sehe ich Bernd und
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