Venus allein zu Haus
geschossen.
»Ich dachte, du wolltest mich aufmuntern«, schmolle ich.
»Will ich auch. Wäre aber nett, wenn du dich nicht total danebenbenehmen würdest. Warte hier, ich hole dir dein Wasser.« Und weg ist er. Danebenbenehmen? Ich mich?
Na, da hört sich doch alles auf. Wenn sich hier jemand zu benehmen weiß, dann ja wohl ich. Frechheit. Ich werfe einen kurzen inspizierenden Blick auf die Tapete. Scheinen keine Schmierflecken dran zu sein, also lehne ich mich dagegen, um wenigstens ein kleines bisschen Halt zu haben in dieser mir so fremden Welt. Während ich auf Bernd warte, sehe ich mir die Leute ein bisschen genauer an. Hier im Flur sitzt ein Grüppchen von vier Frauen auf dem Boden. Alle sehen gut gelaunt aus, das muss man ihnen lassen. Aber ansonsten. Du lieber Himmel. Ich bemühe mich, nicht allzu sehr zu starren, doch in meinem Kopf startet automatisch das Make-over-Programm.
Objekt 1: tolle rote Haare, nur total verfranst, gute Figur, riesige Füße.
Mein Tipp: ein guter Splissschnitt mit der heißen Schere, Glanzkur in die Haare und unbedingt Schuhe mit hohem Absatz tragen.
Objekt 2: eigentlich auch ganz hübsch, aber dieses Frotteeunterhemd in gelb und himmelblau, wie ich es mit fünf getragen habe, ist wirklich denkbar ungünstig. Da hängt der etwas schwabbelige Bauch unten raus und man sieht die mickrigen, spitzen Brüste.
Mein Tipp: Push-up-BH und ausreichend langes T-Shirt. Stattdessen die Aufmerksamkeit auf die schönen grünen Augen lenken. Mit reichlich Wimperntusche und einem violetten Lidschatten. Ja, das könnte klasse aussehen.
Objekt 3: Das wird schon etwas schwieriger. Aber ich liebe die Herausforderung. Aalglatte mausbraune Haare, die platt am Kopf anliegen …
»Wenn du nicht sofort damit aufhörst, hier die Leute so kritisch zu mustern, dann gehen wir«, unterbricht Bernd unsanft meine Gedanken.
»Das tue ich doch gar nicht«, lüge ich und nehme ihm das Wasser aus der Hand. »Oh, das ist ja mit Kohlensäure, ich wollte ohne. Bitte«, füge ich mit einem hinreißenden Augenaufschlag noch hinzu, worauf Bernd seinen Mund, den er soeben empört geöffnet hat, um mir wohl etwas Unfreundliches an den Kopf zu werfe, wieder schließt und sich trollt. »Danke, vielen Dank«, übertreibe ich, als er mir das Glas in die Hand drückt und bemühe mich von da an, die Leute nicht mehr allzu unverhohlen anzustarren, denn ich muss zugeben: Mich mustert hier tatsächlich keiner. Ich sitze neben Bernd auf dem klumpigen dunkelgrünen Siebziger-Jahre-Sofa und ständig kommen irgendwelche Bekannten von ihm, begrüßen erst ihn, dann mich, aber niemand wirft irgendwelche abfälligen oder auch nur neugierigen Blicke auf mein merkwürdiges Outfit. Dabei falle ich in dieser Umgebung wirklich aus dem Rahmen. Die Leute scheinen das nicht mal zu bemerken. Verrückt. Richtig warm werde ich aber mit keinem von ihnen, obwohl ich mich ehrlich darum bemühe. Mir fällt nämlich auf, dass ich spätestens heute, ob gewollt oder nicht, in Phase 2 gerutscht bin. Ich habe unsinnig viel Geld ausgegeben und befinde mich auf einer Party. Angestrengt halte ich nach einem schönen Fremden Ausschau, mit dem ich knutschen könnte, aber da bin ich hier einfach falsch. Schon um zehn würde ich nichts lieber tun, als nach Hause zu fahren. Aber Bernd will nicht.
»Ich muss aber mal«, quengele ich.
»Dann geh doch. Das Klo ist hier raus und dann die erste links.«
»Neee.«
»Dann kann’s ja nicht so dringend sein.«
»Kannst du vorher mal gucken gehen, ob es sauber ist? Bitte!« Genervt verdreht Bernd die Augen, erhebt sich dann aber doch.
»Alles in Ordnung, Prinzessin auf der Erbse«, meldet er, als er eine Minute später zurückkommt, also wage ich den Gang auf eine fremde Toilette, die Sagrotantücher im Handtaschenformat im Anschlag. Ich muss zugeben, so schlecht sieht’s hier wirklich nicht aus. Ein frischer Apfelduft liegt in der Luft, und selbst in den Ecken finde ich keine Staubmäuse. Hmm. Suchend blicke ich mich um. Das bin ich nicht gewohnt, dass meine Vorurteile sich so gar nicht bewahrheiten. Selbst von unten ist die Klobrille sauber. In meinem Weltbild ein wenig erschüttert komme ich wenige Minuten später ins Wohnzimmer zurück. Na schön, ich werde Bernd sagen, dass ich seine Freunde falsch eingeschätzt habe und dass ich … Aber Bernd interessiert sich jetzt nicht mehr die Bohne für meine Einschätzung. Nicht, dass er das vorher getan hätte. Aber jetzt sehe ich nur seinen Hintern in
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