Venus allein zu Haus
Katrin engumschlungen im Haus verschwinden und seufze schwer. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Diese merkwürdige Beischlaf-Kumpel-Beziehung ist nun wirklich das Allerletzte, was mir vorschwebt. Trotzdem. Die beiden sind heute wenigstens nicht allein. Alle haben jemanden. Lara hat Manu. Michael hat Nick. Sogar Jackie hat ihren komischen Ehemann, Angela hat meinen Vater. Wen Jan hat, das möchte ich lieber nicht so genau wissen. Fakt ist: Jeder hat irgendwen. Ich habe niemanden. Bevor Sophia empört aufschreien kann, bringe ich sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Keinen Mann, meine ich natürlich«, fauche ich sie an.
»Du hast Freunde, das ist auch sehr wichtig.« Ja, ich habe Freunde. Erleichtert zücke ich mein Handy. Ich muss nicht in Villa Eisblock zurück, wenn ich nicht möchte. Aber wen rufe ich an? Bernd jetzt bei Katrin wieder rauszuklingeln, nein, das bringe ich nicht über mich. Obwohl es ihm recht geschähe. Immer diese unverbindliche Rumvögelei, das geht mir sowieso auf den Keks an ihm. Lara kann ich ausnahmsweise auch nicht einspannen. Sie und Manuel feiern heute ihr Vierjähriges, die Glücklichen. Und obwohl Lara mir wahrscheinlich sogar noch während der Geburt ihres eigenen Kindes überallhin zu Hilfe eilen würde, schätze ich, dass ich die Geduld ihres zukünftigen Mannes heute überstrapazieren würde. Bleiben nur noch Michael und Nick. Die wohnen ja hier gleich um die Ecke, dann kann ich eigentlich auch einfach mal klingeln. Wie spät ist es denn? Halb zwölf. Naja, die werden schon noch wach sein.
Ziemlich lange stehe ich vor der Haustüre und befürchte schon, dass die beiden nicht zu Hause sind, als es schließlich doch noch in der Gegensprechanlage knackt:
»Hallo? Wer ist da?«
»Michael, ich bin’s, Helen. Darf ich bitte hochkommen.«
»Äh, ja, klar. Beeil dich nicht.« Mit dieser merkwürdigen Aufforderung betätigt er den Türöffner und ich betrete das Treppenhaus. Außer Atem erreiche ich kurze Zeit später den vierten Stock und klopfe an der geschlossenen Wohnungstür. »Moment«, erschallt es von innen in gehetztem Tonfall. Natürlich, ich habe sie beim Sex gestört. Ist ja wieder typisch. Aber deswegen bin ich ja schließlich hier. Weil alle Leute Sex haben, außer mir. Wobei es mir dabei weniger um den fehlenden Sex als um die fehlende Liebe geht. Ich beschließe, kein schlechtes Gewissen wegen der Störung zu haben, was mir beim Anblick von Nicks finsterem Gesicht nicht ganz leicht fällt. Nach einem kurzen »Hi, entschuldigt den Überfall«, wende ich mich lieber Michael zu, der ein wenig freundlicher guckt.
»Helen«, sagt er und küsst mich auf beide Wangen, »wie kommen wir zu diesem unerwarteten Besuch?«
»Zu so später Stunde«, fügt Nick finster hinzu. Oh, ich hasse es, wenn jemand böse auf mich ist. Deshalb setze ich meinen mitleiderregensten Blick auf, seufze tief und biete an:
»Ich kann auch wieder gehen, wirklich kein Problem. Ich wollte auf keinen Fall stören.« Noch immer lässt Nick sich nicht zu einem Lächeln erweichen. Er erinnert mich irgendwie an meinen Vater mit seinem Eisblick. »Es tut mir echt Leid«, stammele ich, drehe mich auf dem Absatz um und will in Richtung Tür flüchten, doch da hält Michael mich auf. Zum Glück.
»Helen, ist schon gut, du brauchst wirklich nicht zu gehen. Wir freuen uns, dass du da bist!« Ich werfe einen zweifelnden Blick in Richtung Nick, doch Michael lacht nur und hilft mir aus meiner Jacke. »Ach, Nick darfst du nicht ernst nehmen, der ist seit heute Morgen mal wieder auf Diät und deshalb unausstehlich.«
»Ach so.« Jetzt verstehe ich. Da hat er mein ganzes Mitgefühl.
»Naja, eigentlich ganz gut, dass du da bist«, knurrt Nick, »vielleicht kannst du mich ja ein bisschen von dem Hungergefühl ablenken. Hast du wenigstens irgendwas Interessantes zu erzählen.« Ehrlich gesagt fühle ich mich ein bisschen unter Druck gesetzt, aber kaum sitzen wir in der Küche vor drei dampfenden Tassen heißen Tees, da sprudelt es schon aus mir raus. Ich erzähle ausführlich, wie ich mir mein Leben vorgestellt habe und dass jetzt so gar nichts nach Plan laufen will. Michael sieht mich mitleidig an und nickt hin und wieder verstehend, während Nicks Blick starr auf den Löffel mit Honig gerichtet ist, den ich gerade genüsslich in meinen Früchtetee tropfen lasse.
»Tschuldigung«, sage ich schnell, versenke den Löffel mitsamt dem süßen Gold komplett in der Tasse und schiebe ihm das silberne Döschen
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