Venus allein zu Haus
ausgefallen sind.
»Wir freuen uns sehr, Helena«, ertönt nun die sonore Stimme meines Vaters aus dem Wohnzimmer und, oh Wunder, auch er kommt auf mich zu und umarmt mich.
»Ihr freut euch?«, wundere ich mich, und die beiden nehmen mich in ihre Mitte und geleiten mich zum Wohnzimmer, wo jemand auf dem weißen Ledersofa sitzt. Jacqueline. Sie strahlt mich an.
»Hallo Helen. Tut mir Leid, ich hab’s ihnen gesagt. Ich konnte nicht anders!«, sprudelt es aus ihr hervor, während mein Vater und meine Stiefmutter zustimmend nicken. Alle scheinen ja sehr vergnügt heute zu sein. Wenn ich bloß wüsste, warum?
»Setzen wir uns doch«, schlägt mein Vater vor und macht eine einladende Handbewegung. Ich lasse mich neben meiner Schwester aufs Sofa plumpsen und gucke sie fragend an.
»Ich freu mich so für dich«, quiekt sie und quetscht
meine Hand. Seit wann herrscht zwischen uns eigentlich solch innige Schwesternliebe, frage ich mich.
»Worüber freust du dich denn so«, erkundige ich mich.
»Na, deine Hochzeit«, jubelt sie, und Angela fragt im selben Moment:
»Habt ihr euch schon ein Datum ausgesucht?«
»Wie wäre es mit dem 30. September?«, schlägt mein Vater vor. »Da würde das Landhaus Flottbek die Stornogebühren mit Sicherheit verrechnen.« Ich sehe ihn erstaunt an und drehe dann langsam, ganz langsam meinen Kopf und sehe meiner Schwester in die Augen. Mein Blick würde bei sensibleren Zeitgenössinnen sofort die Wehen auslösen, aber Jackie guckt nur etwas irritiert und ihr Lächeln verliert einige Zentimeter an Breite. Ich wende mich wieder an Angela und Papa und sage sehr langsam und betont:
»Ich muss mal kurz mit Jacqueline alleine sprechen.«
Ich springe auf und grabsche nach ihrer Hand.
»Entschuldigt uns«, rufe ich noch, während ich sie aus dem Wohnzimmer hinaus und die Treppe zu meinem Zimmer hochzerre.
Ich schließe die Tür und drehe mich ganz langsam zu meiner Schwester um, die mitten im Zimmer steht und anscheinend noch immer gar nichts schnallt. Sie versucht ihr altbewährtes Engelslächeln, das eigentlich immer zieht. Nur bei mir nicht.
»Bitte«, sage ich und gehe einen Schritt auf sie zu, »bitte sag mir, dass du nicht allen Ernstes Bernds dämlichen Scherz von gestern geglaubt hast. Sag mir, dass du unseren Eltern nicht erzählt hast, dass ich Bernd heiraten werde. Bitte, sag mir, dass du nicht noch blöder bist, als ich immer dachte.« Sie öffnet den Mund, aber ich fahre mit
drohender Stimme fort: »Sag mir, dass das nicht wahr ist oder sag mir, dass ich träume. Bitte!«
»Äh …«
»Na?«
»Ja, doch.«
»Was doch?« Bitte bitte, nein!
»Ich …« Ihre Unterlippe zittert. Das kenne ich schon. Und natürlich, jetzt fängt sie an zu heulen. »Ja, es stimmt. Ich bin blöder als du dachtest«, schluchzt sie. Um sicherzugehen, kneife ich mich fest in den Arm. Autsch. Das tut weh. Kein Traum. Plötzlich fühlen sich meine Beine an wie Pudding und ich lasse mich wortlos auf mein Bett fallen.
»Ich habe Michael und Nick gleich gesagt, dass es eine blöde Idee war, dich einzuladen«, stöhne ich. Ich ignoriere den verletzten Blick, den sie mir zuwirft. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, nicht loszuheulen. Oder zu schreien. Oder mich auf sie zu stürzen.Warum? Ist sie wirklich noch dümmer als Kelly Bundy oder ist sie so ein gemeines, hinterhältiges Biest, das mir hinterrücks ganz bewusst ein Messer in den Rücken rammt? Damit ich mal wieder in dieser Familie den Loser vom Dienst geben kann. Ich betrachte sie, wie sie weinend vor mir steht und muss leider zugeben: Nein, das ist es nicht. Anscheinend ist sie einfach nur doof. Aber das schützt sie jetzt nicht vor meiner Wut.
»Du dämliche Kuh!«, schimpfe ich los. Sie zuckt erschrocken zurück und schaut mich mit großen Augen an. »Ist dir eigentlich klar, was du angerichtet hast?«
»Es tut mir Leid«, schnieft sie, »ich dachte wirklich … ich meine, er hat es doch schließlich gesagt und überhaupt, ihr seid immer so vertraut miteinander, und … ich frag mich schon seit Jahren, warum ihr nicht längst zusammen seid.« Bei diesen Worten bleiben mir die Beschimpfungen im Halse stecken.
»Wirklich?«, frage ich in einem völlig anderen Tonfall.
»Ja. Und er sieht doch jetzt so gut aus und ihr seid so ein schönes Paar. Ich konnte doch nicht ahnen. Wieso sagt er denn so was überhaupt, wenn es gar nicht stimmt«, fragt sie plötzlich empört.
»Weil es ein Scherz war. Eine witzige Anekdote aus unserer Jugend,
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