Venus allein zu Haus
ich ihr lassen. Mein Vater guckt von einer seiner Töchter zur anderen und fragt sich wahrscheinlich zum tausendsten Mal, womit er diese Strafe verdient hat.
»Liebling, wir hatten uns doch für einen geplanten Kaiserschnitt
entschieden, damit ich bei der Geburt anwesend sein kann«, sagt Paul kopfschüttelnd.
»Ich sage ja nicht, dass du nicht dabei sein sollst. Aber ich will mich nicht aufschneiden lassen, wenn ich das Kind auch auf natürlichem Weg bekommen kann.«
»Aber Schatz, du bist doch so zart. Glaub mir, ein Kaiserschnitt ist gewiss das Beste. Du selber bist doch auch so entbunden worden«, redet Angela auf ihre Tochter ein.
»Trotzdem«, sagt diese und schiebt trotzig die Unterlippe vor.
»Was für ein Unfug«, sagt Papa schneidend, »du weißt doch, dass Paul ständig auf Geschäftsreise ist. Der geplante Kaiserschnitt ist die einzig vernünftige Lösung um sicherzustellen, dass er die Geburt seines Sohnes nicht verpasst.« Natürlich. Wenn es sich um eine Tochter handeln würde, wäre das natürlich was ganz anderes, fährt es mir durch den Kopf. Das Thema »Helens Hochzeit« ist vom Tisch, nehme ich an? So schnell geht das. Gott sei Dank! In diesem Moment höre ich Jackie meinen Namen sagen.
»Wie bitte?«
»Ich habe dich gefragt, was du von einem geplanten Kaiserschnitt hältst, Helen.« Wer, ich? Seit wann zählt denn hier meine Meinung?
»Gar nichts, wenn du es genau wissen willst!«
»Und warum nicht?« Aha, jetzt will sie, dass ich ihren Kampf ausfechte.
»Weil der Geburtsvorgang wichtig für Mutter und Kind ist. Das Kind schüttet dabei Hormone aus, die es für seine Entwicklung braucht. Und die Rückbildung deines Bauches geht nach einer natürlichen Geburt auch viel schneller.« Wenn ich mutig wäre, würde ich mit einem Seitenblick auf Angela sagen, dass eine Bauchstraffung natürlich denselben
Effekt hat. Bin aber nicht mutig. Daher ist mein Vortrag hiermit beendet. Zufrieden nickend sitzt Jackie da.
»Genau. All das finde ich auch«, bestätigt sie und wirft mir einen dankbaren Blick zu.
»Nun, wir werden sehen«, sagt Paul und ich merke wieder, dass Jackie im Grunde ihren Vater geheiratet hat. Wir werden sehen. Wir reden später noch einmal darüber. Und dann wird es doch so gemacht, wie er es will. Beinahe mitleidig blicke ich meine kleine Schwester an, die jetzt den Kopf einzieht und den Mund hält. Ach herrje.
»Das Filet ist ausgezeichnet, Angela«, lobt Papa und kaut genüsslich. Ja, und das Wetter war heute ganz außerordentlich schön, denke ich rebellisch. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Sollte ich nicht eigentlich froh sein, dass die Aufmerksamkeit so glatt von mir auf Jackie auf das Filet übergegangen ist. So wollte ich es doch schließlich. Aber jetzt fühle ich mich übergangen. Immerhin ist gerade meine zweite Hochzeit innerhalb weniger Monate geplatzt. Ich glaube, die letzten vierundzwanzig Stunden waren einfach zu viel für mich, aber ich verlange ein wenig mehr Anteilnahme. Dazu stupst mich Sophia auch noch aufmunternd in die Seite, und ehe ich mich versehe, höre ich mich sagen:
»Ich werde Bernd nicht heiraten.«
»Ja, Helena, wir haben dich gehört«, sagt mein Vater. »Sei so nett und reich mir die Kroketten.«
Bereits um halb zehn liege ich an diesem Abend im Bett. Es gibt einfach noch eine Menge, über das ich nachdenken muss. Und das kann ich am besten vor dem Einschlafen. Dotty liegt neben mir und lässt sich hinter den Ohren kraulen. Auch Sophia hat sich eingefunden.
»Anscheinend tut es dir nicht gut, hier im Haus deines
Vaters zu wohnen«, gibt sie mir einen Gedankenanstoß. Nein, da hat sie Recht. Ich muss mir dringend etwas anderes zum Wohnen suchen. Gleich morgen. So geht es nicht weiter. Sofort geht es mir etwas besser. Ich atme tief durch. Normalerweise würde ich jetzt Bernd anrufen und mich bei ihm über meinen Vater beschweren. Das geht jetzt natürlich nicht. Bernd. Der sich von mir hat umstylen lassen für Leila. Also eigentlich für mich. Schon süß. Und er sieht jetzt wirklich richtig gut aus. Wenn ich ihn jetzt irgendwo kennen lernen würde, dann könnte er mir glatt gefallen. Rein optisch. Und ja, er ist ein netter Kerl. Trotzdem. Bei dem Gedanken, mit Bernd Sex zu haben, muss ich in mich hineinkichern. Seit fast fünfzehn Jahren habe ich mir keine Gedanken mehr darüber gemacht, dass mein Freund Bernd überhaupt einen Penis besitzt. Ach, das ist doch alles total absurd. Und jetzt will er also plötzlich mit mir
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