Venus und ihr Krieger
geschwächt. Nur mit größter Willensanstrengung setzte er den Marsch fort und hoffte, dass Sigrun seine Schwäche nicht bemerkte. Er nannte sie bei ihrem germanischen Namen und sie war darüber sehr glücklich. Rom lag hinter ihnen und damit auch der Name einer Sklavin.
Sigrun spürte, dass eine Krankheit an ihr zehrte. Doch sie wollte sie nicht wahrhaben. Sie warf Kräuter ins Feuer und atmete deren Rauch ein, um die schwarzen Geister zu vertreiben, die in ihr nagten wie kleine Käfer. Ihre Sorge galt Claudius. Nachts presste sie seinen Körper an sich und versuchte, ihm etwas von der Wärme ihres Körpers abzugeben. Aber nach und nach verließen auch sie die Kräfte. Oft brach kalter Schweiß aus ihr heraus und ihre Gelenke schmerzten.
Feuchter Dunst stieg aus dem Waldboden auf und formte sich zu bizarren Gestalten zwischen den Stämmen. Sigrun taumelte und streckte die Arme abwehrend nach vorn.
»Waldgeister«, stöhnte sie. Sie fürchtete die unfassbaren El-binnen, die in Gestalt von Würmern, Schmetterlingen oder Ungeziefer aus den Bäumen heraus und in die Körper der Menschen krochen. Schreckliche Krankheiten waren die Folge. Sigrun hätte sie verwünschen müssen, tief in den Wald hinein, in das Gehölz, den Baum, den Busch. Doch ihre Kraft erlahmte. Vielleicht hatten die Elbinnen auch schon von ihren Körpern Besitz ergriffen.
Hinter sich hörte sie Claudius husten. Seine Lunge rasselte wie die Kette eines Sklaven. Der kalte Wind fuhr durch seine Kleidung und trug die Wärme seines Körpers davon. Feuchtes Laub klebte an seinen zerfetzten Sandalen. In seiner Brust brannte ein heftiges, verzehrendes Feuer.
»Sigrun«, flüsterte er tonlos und sah eine weiße Schwanen-frau, die sich lautlos in die Luft erhob. Die Bäume um ihn herum bewegten sich und beugten sich zu ihm herunter. Er verspürte einen intensiven Duft nach Pilzen, bevor die Welt um ihn herum sich verdunkelte.
Der Mittelpunkt der Schwärze bestand aus einer winzigen, züngelnden Flamme. Sie leckte die Dunkelheit auf, wurde größer, wärmer, kam immer näher. Er wollte sie greifen, an sich reißen, doch ein riesiger Druck auf seiner Brust nahm ihm die Luft. Ein Berg schien sich auf ihn gewälzt zu haben, die Mächte der Finsternis hatten Besitz von ihm ergriffen. Wispernde Stimmen aus der Dunkelheit ängstigten ihn.
»Er kommt zu sich«, sagte eine weibliche Stimme.
Sigrun wälzte sich unruhig unter einer dicken Felldecke. Schweiß bedeckte ihre Haut und es roch nach Feuer. Es ist meine Sprache, dachte sie. Die Waldgeister narren mich, sie treiben ihr Spiel. Wer spricht meine Sprache?
»Halt sie fest«, sagte die weibliche Stimme und eine feste Hand packte Sigrun und presste sie auf ihr Lager. Sie schrie auf und wehrte sich gegen den Zwang.
»Ruhig, ganz ruhig, du bist in Sicherheit«, vernahm sie wieder die weibliche Stimme. Sigrun riss die Augen weit auf und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Im matten Schein des Feuers sah sie eine Frau, die in einem Kessel rührte. Die Frau blickte besorgt zu ihr herüber. Langsam wanderten Sigruns Augen umher. Sie sah ein verrußtes Fell, eine Wand aus borkigen Stämmen, Dachbalken, an denen getrocknetes Fleisch, Bündel aus Kräutern und lederne Beutel hingen. Und wieder sah sie das Feuer, lodernd in einer Herdstatt, die ihr bekannt vorkam. Grobe Lehmziegel umgaben die Feuermulde, ein schwarzer Kessel stand darauf.
Die Frau hockte sich neben sie und hielt ihr eine Schale mit einem dampfenden Gebräu entgegen. Gierig schluckte Sigrun das aromatische Getränk und spürte es heiß durch ihren Körper rinnen. Aufstöhnend fiel sie auf das Lager. »Wo bin ich?«, flüsterte sie.
Die Frau antwortete nicht, sondern rührte weiter im Kessel.
Sigrun hatte das Gefühl, dass viele Augen sie anstarrten. Mit aller Kraft richtete sie sich auf. Im Dämmerschein der Hütte erkannte sie mehrere Personen, die auf den Pritschen entlang der Wände hockten.
»Vater?« Sie suchte nach einem bekannten Gesicht. Dann entdeckte sie ein längliches Fellbündel zwischen den Menschen. Es rührte sich nicht. »Claudius?« Nackte Angst lag in ihrer Stimme. Die Frau eilte zu Sigrun und drückte sie wieder auf das fellbedeckte Lager. »Er lebt«, sagte sie leise. »Er ist sehr krank.«
»Ich muss ihm helfen«, protestierte Sigrun, aber es klang schwach.
Die Frau lächelte milde. »Auch du bist krank. Aber ihr werdet beide wieder gesund. Wer bist du?«
»Sigrun«, murmelte sie. »Sigrun, die Tochter des
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