Venus und ihr Krieger
er.
Sigrun und Claudius fuhren erschrocken auseinander. »Oh, nein, nein, wir möchten dich und König Antequos nicht beleidigen«, stammelte Claudius. »Wir brauchen nur etwas frische Luft.«
»Warum versuchst du zu lügen, Römer«, knurrte Verculix und blickte ihn herablassend an. »Du kannst deine Gedanken nicht vor mir verbergen. Es sind diese seltsamen Bande zwischen euch, die euch entwurzelt haben. Ihr klammert euch aneinander, weil es sonst nichts gibt, das euch halten kann. Schnell kann euch der Wind verwehen.« Er schüttelte bedächtig sein greises Haupt. »Erzählt mir eure Geschichte.«
Er hockte sich auf einen bemoosten Baumstumpf und stützte sich dabei auf seinen Stab. Sigrun betrachtete ihn immer noch mit gemischten Gefühlen, wenngleich ihr die Welt der Priester und Seher nicht unbekannt war. Doch Claudius fürchtete den Alten und sein entwaffnendes Wissen.
Beide hockten sich vor den Druiden ins Gras und erzählten abwechselnd ihre leidvolle Geschichte. Sie ließen nichts aus, nicht ihr Leben in Rom, nicht ihre heimliche Liebe zueinander, nicht ihre abenteuerliche Flucht, nicht ihre Zweifel seit ihrer Ankunft in Gallien.
Die Sonne berührte bereits die Wipfel der Bäume, als sie ihre Erzählung beendeten. Sigrun ließ ihre Hände in den Schoß sinken und starrte auf ihre verschränkten Finger. Claudius legte schützend seinen Arm um ihre Schulter.
Lange schwieg der Alte. Dann richtete er seine wasserhellen Augen auf das vor ihm hockende Paar. »Ich habe selten eine Geschichte über so tiefe Liebe gehört«, sagte er. »Und ich muss sagen, sie gefällt mir. Doch nun seid ihr verzagt. Bedenkt aber, dass der Weg, den ihr gewählt habt, zu Ende gegangen werden muss! Und du, Claudius, oder Velox, wie deine Mutter dich nannte, zweifelst an den Göttern, an Sigrun, an dir selbst und an eurer Liebe. Und du sorgst dich um euer Kind, das im Monat Giamonios unter dem Knospenmond geboren wird.«
Claudius’ Gesicht wurde aschfahl. »Velox, tatsächlich hat meine Mutter mich manchmal so gerufen. Doch es war mir entfallen. Ich habe es niemandem gesagt …«
Die grauen Berge schliefen unter einer weichen Decke aus blütenweißem Schnee. Unendlich wölbte sich der blaue Himmel darüber. Der Anblick schmerzte das Auge des Betrachters ob seiner Schönheit und Gewaltigkeit.
Schnaufend stapften die beiden zotteligen Pferde durch die weiße Pracht und an ihren Nüstern bildeten sich kleine Eiszapfen. Sie trugen dicke Fellsättel und schönes Zaumzeug. Die beiden Reiter waren in wärmende Pelze gekleidet.
Sigrun schob die Kapuze ihres Umhanges herunter und hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen. Auch wenn es tiefster Winter war, spürte sie die belebenden, wärmenden Strahlen auf ihrer Haut. Sie sprang von ihrem Falben und lief nebenher. Spielerisch bewarf sie Claudius mit Schneebällen und ihr glockenhelles Lachen schwang sich hinauf in die frostklare Luft, wenn sie ihn traf.
Claudius war von der Kulisse der riesigen Berge beeindruckt. Gewaltig ragten die Gipfel der Alpes Montes um sie auf. Es war kaum vorstellbar, dass hier Menschen lebten. Und doch trafen sie immer wieder auf kleine Ansiedlungen und verstreut liegende Höfe der Helvetii.
Nachdem sie die Burg des Arvernerkönigs Antequos verlassen hatten, ritten sie der aufgehenden Sonne entgegen, »nach vorn«, wie Verculix ihnen gedeutet hatte.
Nachdenklich blickte Claudius auf Sigruns hoch gewachsene Gestalt, die in ihren dicken Pelzen nicht minder anmutig wirkte. Er liebte sie, darin bestand kein Zweifel. Er begehrte sie körperlich und war ihr in all den letzten Wochen und Monaten so nahe gewesen. Doch geistig hatte er sich ihr erst jetzt genähert, spürte ihre seltsame Beziehung zu den nordischen Göttern, die nicht zu personifizieren waren wie die römischen Gottheiten mit ihren in Marmor gemeißelten, klaren Körpern und architektonisch ausgefeilten Tempeln. Ob Lug oder Odin, ob Diancecht oder Apollo, ob Minerva oder Venus, der Name hatte keine Bedeutung. Die Kelten hielten es für unmöglich, sie sich als menschliche Wesen vorzustellen. Ihr Götterglaube spielte sich in den geistige Sphären ab und umfasste die überall wirksamen Naturkräfte mit ihrer nicht in Worte zu kleidenden Macht. Einzig die Druiden schienen dieses allumfassende Wissen zu besitzen und damit auch umgehen zu können. Claudius strebte nicht danach, es zu verstehen. Er spürte es und das genügte ihm.
»Es steht euch frei, weiterzuziehen«, hatte Verculix gesagt, »denn es
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