Venus und ihr Krieger
zur Strecke bringen. Das bin ich euch schuldig.«
»Geh nicht allein!«, versuchte Sigrun ihn zurückzuhalten. »Du bist das Leben in den Wäldern nicht gewöhnt.«
»Liebste, du brauchst dir keine Gedanken um mich zu machen. Ich bin ein Mann und kann allein auf die Jagd gehen.« Er runzelte verärgert die Brauen.
»Bitte, Claudius, du musst mir deinen Mut und deine Tapferkeit nicht beweisen. Das hast du hinlänglich getan. Doch hier ist es etwas anderes.« Sie umfasste seinen Arm.
Claudius schüttelte ihren Griff unsanft ab. »Was soll das? Ich will gar nichts beweisen, ich will auf die Jagd gehen. Was ist daran so gefährlich?«
Sigrun schwieg, doch ihr Herz klopfte beängstigend schnell. Es war nicht die Angst, dass ihm auf der Jagd etwas geschehen könnte. Er würde es auch mit einem mächtigen Keiler aufnehmen. Sie spürte plötzlich, dass Claudius allein sein wollte, allein mit sich und der Welt. Deshalb wollte er auf die Jagd. Er wollte den Keiler töten, weil er ihm so ähnlich war, ein ungeselliger, einzelgängerischer Krieger.
Die Unruhe verließ Sigrun auch nicht, als Claudius sich, bekleidet mit wärmenden Fellen, bewaffnet mit Lanze, Kurzschwert, Pfeil und Bogen auf den Weg in den undurchdringlichen Wald jenseits des Tales begab.
Es dauerte nicht lange, da hatte er die Spur eines Einzeltieres aufgenommen. Nach den Abdrücken seiner gespaltenen Klauen musste es ein sehr großes Tier sein. Claudius verfolgte die Fährte durch das Dickicht. Stunden vergingen, bis er ein leises Grunzen und Schnüffeln vernahm. Er prüfte die Windrichtung und zog es vor, einen Kreis um den Keiler zu schlagen, um näher an das Tier heranzukommen. Geduckt schlich er zwischen den Baumstämmen hindurch, die Deckung des Unterholzes ausnutzend. Der Keiler wühlte mit seinem Rüssel im weichen Laubboden auf der Suche nach Eicheln und Bucheckern. Zwischen verhaltenem Grunzen und Quieken vernahm er lautes Schmatzen. Claudius packte die Lanze fest mit der Hand und näherte sich dem Keiler. Jetzt nahm auch das riesige Tier Witterung auf. Mit einem Alarmlaut blickte es auf
– und Claudius in die Augen. Der Jäger war zu nahe an dem Keiler, als dass dieser noch flüchten konnte. So griff das Tier an.
Claudius schleuderte kraftvoll den Speer, der in der Brust des Keilers stecken blieb. Dieser schrie und brüllte und setzte seinen wütenden Angriff auf den Jäger fort. Claudius musste das Schwert ziehen, um nicht von den gewaltigen Hauern aufgeschlitzt zu werden. Er fixierte im Bruchteil eines Augenblicks die Entfernung zwischen sich und dem Keiler und blieb stehen, um den Angriff des verwundeten Tieres abzuwarten. Mit einem einzigen geschmeidigen Schritt zur Seite entging er dem frontalen Angriff, doch sein Schwert bohrte sich bis zum Schaft in die Brust des Keilers. Mit einem grässlichen Schrei sank er zu Boden. Claudius bückte sich, um das Schwert aus dem toten Tier zu ziehen.
Erst jetzt bemerkte er, dass er von Männern umringt war, grimmig blickenden Kriegern mit gedrungenen Helmen und bemalten Lederschilden. In den Händen hielten sie Speere, deren Spitzen auf Claudius gerichtet waren. Mit einem Blick wurde ihm klar, dass eine Gegenwehr nutzlos war. Er hielt sein blutiges Schwert in den Händen. Claudius blieb einfach stehen.
»Du jagst im Wald des Königs«, sagte der Anführer der Krieger zu Claudius. »Welchem König? Dem König der Welt? Soviel ich weiß, ist der Boden Allgemeingut«, gab Claudius zurück. Die Speerspitzen senkten sich bedrohlich. Der Anführer blickte auf das Schwert in Claudius’ Hand. »Ein Römer!«, rief er. »Und er wagt es, unseren König zu verhöhnen. Nehmt ihn gefangen!«
Claudius war blitzschnell überwältigt, die Krieger nahmen ihm die Waffen ab. Zwei von ihnen banden das tote Wildschwein an eine lange Stange und schulterten es, während die anderen Claudius in ihre Mitte nahmen und wegführten.
Nach kurzem Marsch erreichten sie einen Burgwall, hinter dem die hölzernen Wachtürme und Dächer der Burggebäude hervorragten. Am Fuße des Burgwalles herrschte reges Treiben, die Vorbereitungen zum Samoniosfest strebten ihrem Höhepunkt zu.
Unter einem Baldachin hockte ein überaus kräftiger Mann mit rotem Haar und Vollbart zwischen weiteren, als Krieger zu erkennenden Männern. Sie beobachteten einen Ringkampf zweier Recken, die sie mit lauten Rufen anfeuerten.
Der Anführer des Zuges verbeugte sich vor dem rotbärtigen Mann. »Edler König Antequos, wir bringen dir einen römischen
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