Venus und ihr Krieger
auftretenden Wehen, ohne dass ein Ende abzusehen war.
»Wie lange dauert denn so etwas nur?«, fragte sie verzweifelt.
»Keine Sorge, es ist alles ganz normal«, beruhigte sie eine der Frauen. »Du darfst dich nur nicht gegen den Schmerz wehren, das verzögert die ganze Geburt.«
Doch Sigrun hatte gelernt, gegen Schmerzen zu kämpfen, gegen Schmerzen des Hungers, gegen Schmerzen der Kälte, gegen Schmerzen durch Verletzungen. Doch diese Schmerzen waren stärker. Wie die Wogen des Meeres schienen sie sie zu überspülen, gewaltig, unaufhaltsam. Zwischen den Wehen verschnaufte sie und bangte, als sich die nächste Schmerzwoge ankündigte.
»Schrei, damit es dich erleichtert!«, forderte die Frau sie auf.
»Nein, ich schreie nicht! Ich bin eine kimbrische Freie, die Schmerzen ertragen kann …« Sigrun verzog das Gesicht.
Die Frau schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Und eigensinnig dazu. Wir brauchen hier keine Helden. Jede Kuh weiß, was zu tun ist, wenn sie ihr Kalb bekommt, jede Stute und jede Hündin. Nur die Menschen glauben, klüger zu sein.«
»Ich bin nur etwas müde«, flüsterte Sigrun. »Lasst mich schlafen.«
»Nein, du darfst nicht einschlafen. Dein Kind wird sonst ersticken. Es muss heraus. Hier, trink diesen Tee, er verstärkt die Wehen.«
Der Absud aus Himbeerblättern und Schafgarbe schmeckte scheußlich und Sigrun befürchtete, dass sie ihn nicht bei sich behalten könnte. Die Frauen legten ihr warme Tücher über den Leib.
Das erste Grau des Morgens zeigte sich am Himmel, doch Sigrun lag noch immer unter Wehen, ohne dass das Kind Anstalten machte, auf die Welt zu kommen. Kalter Schweiß bedeckte ihre Haut, ihr Atem ging schnell und ihre Lippen bluteten, weil sie sich den Schmerz verbiss.
»Aufhören! Ich will, dass es aufhört!«, wimmerte sie.
»Beim ersten Mal ist es meistens schwer«, sagte eine Frau, doch Sigrun hörte sie nur noch aus weiter Ferne.
»Die weite Reise hat sie zu viel Kraft gekostet«, meinte eine andere mit besorgtem Gesicht.
»Also gut, lassen wir die Priesterin kommen. Sie wird die richtigen Formeln über sie sprechen.«
Sigrun lag apathisch da, nur ihr Leib krümmte sich zusammen, wenn die Wehen kamen. Endlich erschien die Priesterin, eine Frau mit runzligem Gesicht und in ein blaues Gewand gekleidet. Sie entblößte Sigruns Bauch und konzentrierte sich darauf. »Das Kind liegt schräg, es muss sich drehen«, murmelte sie. »Ich sehe das Lebenslicht, doch es wird schwächer. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Sie stellte sich hinter Sigruns Kopf und legte ihre Hand auf deren Stirn. »Bist du bereit, meine Tochter?«, fragte sie.
»Ich bin bereit«, murmelte Sigrun, doch sie wusste nicht wozu. Sie schwebte bereits zwischen zwei Welten.
»Du bist die Erde, die Mutter des Lebens, der Quell der Fruchtbarkeit, der Kelch des Wassers. Gebt es frei, das Lebensspendende, lasst es fließen, geht mit dem Strom. Aus dem Quell wird ein Bach, aus dem Bach wird ein Fluss, aus dem Fluss wird ein Strom, aus dem Strom wird das Meer.«
Obwohl die Priesterin diese Worte nur flüsterte, vernahm Sigrun sie ganz deutlich. Sie fühlte einen unwiderstehlichen Drang, der Quell begann zu rinnen, formte sich zum murmelnden Bach. Der Bach schwoll an und wurde zum glänzenden Fluss … Sigrun bäumte sich auf und eine der Frauen stützte ihren Rücken.
»Noch nicht«, sagte die Priesterin und zeichnete ein Schutzzeichen über Sigruns Bauch. Zwei andere Frauen winkelten Sigruns Beine an und pressten sie gegen ihren Leib.
… Der Fluss schwillt zum breiten Strom … Sigrun schrie auf.
»Noch einmal, schrei! Lass dem Strom seinen Lauf, er stürzt ins Meer!«
Noch einmal schrie Sigrun und ein nächstes Mal, dann sah sie das unendliche Meer vor sich. Mit einem letzten, lang gezogenen Schrei, der den ganzen Schmerz der Welt hinausspülte, ergoss sich der Strom in die Weite des Ozeans.
Dann war Stille. Sigrun keuchte und hielt zitternd ihre Knie umklammert. Dann zerriss ein dünner, aber zorniger Schrei die Luft, der Jubel der Frauen konnte ihn nicht übertönen.
»Ein Sohn! Ihr habt einen Sohn!« Lachend legte die Priesterin das glitschige, rote, verschrumpelte Wesen auf Sigruns Bauch. Fassungslos starrte Sigrun auf das Würmchen, das sich regte und mit den winzigen Fingerchen zappelte. »Ein Sohn! Mein Sohn! Unser Sohn!«
Sie lachte und weinte und keuchte und zitterte und war doch so glücklich, wie eine Frau in diesem Augenblick nur sein kann.
»Wir müssen ihn waschen und seinen Nabel
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