Venus und ihr Krieger
Stein, die Sigrun nie zuvor im Leben gesehen hatte. Wer hatte sie erbaut? Waren es Riesen, Götter? Wer hatte die Hütten übereinander getürmt? Wer hatte die Steine in die Wege gerammt? Wer hatte die riesigen Baumstämme aus Stein gemeißelt? Kein Mensch konnte den Anblick dieses Werkes von Giganten ertragen. Und doch standen viele Menschen herum, lachten, erzählten und zeigten mit den Fingern auf den Zug der Todgeweihten. War dies das gelobte Südland, das Land unter der Sonne? Oder war es bereits die Schwelle zu Walhalla, wo die irdischen Werte keine Gültigkeit mehr hatten? Sigrun schlug die Hände über dem Kopf zusammen und ließ sich auf die Erde sinken.
Sie spürte den Schlag der Peitsche, mit dem der Aufseher sie wieder antrieb, doch sie presste die Lippen zusammen und senkte den Blick, um nicht den schreienden, gestikulierenden Menschen ins Gesicht schauen zu müssen. Sie verstand nicht, warum sie auf diesen Holzstoß steigen sollte. Und dann nahmen die Männer ihre Fesseln ab! War sie nun frei?
Langsam schien die Kraft in ihren Körper zurückzukehren, die Kraft der Verzweiflung. Sie blickte sich um nach einem Weg in die Freiheit, einem Weg, der sie zurückführte in ihre Heimat. Aber sie sah nur die lachenden, schreienden Menschen, eine Masse wogender Leiber. Und sie sah die Gefesselten, die bereits mit ihrem Leben abgeschlossen hatten. Und was wollte dieser reich gekleidete Mann, der so heftig mit dem Sklavenhändler stritt? Sie war doch Sigrun, die einzige Tochter des mutigen Bauernkriegers Sigmund Naiax! Niemand durfte sie ins Sklavenjoch zwingen!
Sigrun begriff sehr schnell, dass sie nur den Besitzer gewechselt hatte. Es musste ein sehr bedeutender, reicher Mann sein, der vor ihr von den rot gekleideten Knaben davongetragen wurde. Andere Männer schubsten und stießen sie, damit sie dem Zug folgte. Sie musste diesem Mann folgen, er war jetzt ihr Schicksal.
Wie gehetzt blickte sie sich um. Das war die Gelegenheit zur Flucht! Doch wohin? Wie ein Gebirge ragten beidseits des Weges die riesigen Häuser auf, auf den Straßen wimmelte es von Menschen, viele Soldaten waren darunter. Sigrun hätte keine Chance. Niedergeschlagen ließ sie den Kopf hängen. Doch es würde sich eine Gelegenheit ergeben, irgendwann, und die würde sie nutzen.
Das Haus, das sie nun betraten, schien ebenfalls von Göttern erbaut worden zu sein, so gewaltig, so blendend, so kostbar war es. Alles spiegelte, glitzerte, dass Sigrun von dieser Pracht ganz benommen wurde. Eine etwas rundliche, dunkelhaarige Frau in einem langen Gewand blickte sie skeptisch an. Doch was sie zu ihr sprach, konnte Sigrun nicht verstehen. Zwar hatten auch die Soldaten mit ihr gesprochen, aber Sigrun hatte sich nicht bemüht, den Sinn ihrer Worte zu erfassen. Mit dieser Frau jedoch verhielt es sich anders. Sie hatte ein gutmütiges Gesicht und sie lächelte. Es war ein freundliches Lächeln, und sie streckte Sigrun die Hand entgegen.
Sigrun folgte ihrem Winken, wobei sie sich fortwährend scheu umblickte. Zu übermächtig erschien ihr dieser himmlische Palast mit seinen steinernen Wänden. Und als die Frau sie in einen großen Raum schob, in dem Wasser plätscherte, es nach fremden Wohlgerüchen duftete und kostbare Kleider auf den steinernen Bänken lagen, glaubte sie, endlich in Walhalla eingegangen zu sein.
»Bei allen Göttern, das kostet eine Menge Arbeit«, murmelte Drusilla und winkte zwei Haussklavinnen herbei, die ihr behilflich sein sollten. Sie zogen an den Lumpen der neuen Sklavin, um sie zu entkleiden. Entsetzt wich Sigrun zurück und hob abwehrend die Hände.
»So wird das nichts«, meinte Drusilla und schob die beiden davon. Wieder lächelte sie die Fremde an. Sie deutete mit dem Zeigefinger auf sich, danach in das Wasserbecken. Demonstrativ kleidete sie sich aus und stieg in das Wasser. Sie drehte sich um und winkte Sigrun zu.
Sigrun zögerte. War das eine List, um sie hernach zu ertränken? Doch was konnte es schaden, wenn sie der freundlichen Frau ins Wasser folgte? Zögernd streifte sie ihre erbärmlichen Lumpen vom Körper. Drusilla staunte. Die Fremde war sehr groß, von schöner Gestalt und rankem Wuchs. Ihre Brüste waren für Drusillas Geschmack etwas zu groß, dafür waren die Beine lang und ihre Haut sehr hell. Doch sie war schmutzig, und längliche rote Streifen, teilweise blutverkrustet, zeigten, dass ihre Aufpasser großzügig mit der Peitsche umgegangen waren.
Langsam ging Sigrun auf das Wasserbecken zu und betrat die
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