Venus
Frau hatte. Hatte er überhaupt jemals eine Wirkung auf Frauen? Sein Herz schlug schneller, wenn er Venus sah, aber er hatte nicht jene Krämpfe im Leib, nicht jene Blutleere im Kopf, nicht erhob sich sein stattliches Geschlechtsteil unter der Kutte. Er spürte Glück, Frieden und Wärme in ihrer Nähe, gepaart mit einer inneren Ruhe, die nicht aus Geilheit geboren zu sein schien. Was anderes konnte es bedeuten, als dass ihm eine Frau geschickt wurde, an deren Seite es möglich wäre, Gott im Zentrum seines Lebens zu behalten?
Zum letzten Mal hat er heute Nacht die orange Mönchskutte angezogen, die ihn durch so viele qualvolle Jahre des Bemühens begleitet hatte. Auf dem Parkett hat er gekniet so wie damals im Kloster auf den kalten Steinen. Den Zeigefinger hat er aus dem Gebetssack gespießt und gechantet, aber nicht leise wie sonst, sondern laut und schnell, so laut und schnell er nur konnte.Nun fühlt er sich gestählt, gewappnet, gesegnet, von himmlischen Mächten getragen. Er wird Venus die ganze Wahrheit sagen. Und egal, wie sie reagiert, er wird Gott danken dafür.
Die Nachtluft ist plötzlich klar und geruchlos. Benito und Venus schweigen auf dem Weg zur Kneipe. Als die Restauranttür sich öffnet, schwappt ihnen nach Schnaps und Alkohol stinkende Luft entgegen. Benito setzt sich an die Bar und hält der Kellnerin, die ihn begrüßt wie einen Stammgast, lässig zwei Finger hin.
»Brauchst du das Geld nicht, um deine Zimmermiete zu bezahlen?«, fragt Venus.
»Jetzt nicht mehr«, sagt Benito. »Wieso willst du diesen Deppen heiraten?«
Zwei Flaschen Heineken kommen über den Tresen geschliddert. Benito zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche und wirft sie daneben. Venus beschließt, nicht eingeschnappt zu sein. Wie kann Benito sehen, was sie sieht.
»Weil er mir einen Antrag gemacht hat.«
»Hör mal, ich bin, glaub ich, der Einzige hier, dem er noch keinen Antrag gemacht hat«, sagt Benito.
»Du redest wirr. Du hast doch grad selbst gesagt, dass es nichts Schöneres gibt, als einen Menschen zu haben, für den man alles aufgeben würde.«
»Nur mit dem Unterschied, dass du gar nicht weisst, was du aufgibst.«
»Na doch, das Rauchen, das Fleischessen, das Saufen …«
»Prost«, sagt Benito und haut seine Bierflasche gegen ihre. »Nein, ich meine, du erinnerst dich nicht an dein früheres Leben. Vielleicht hast du einen Mann und fünfKinder. Vielleicht hast du ein Schloss in Frankreich. Du erinnerst dich ja nicht.«
»Vielleicht bin ich auch eine Mörderin?«, sagt Venus und lacht ein wenig zu laut.
»Wär mir egal, weißt du, ich bin ein Bankräuber«, sagt Benito. »Nobody is perfect!« und hebt die Bierflasche an den Mund. Sein Adamsapfel setzt sich in Bewegung, es gluckst laut. Er leert die Flasche in einem Zug.
»Mist, das hatte ich ganz vergessen«, ruft Venus. »Ich kann Bliss Swami gar nicht heiraten. Ich hab ja überhaupt keine Papiere. Nix. Keinen Pass, keinen Personalausweis, nicht mal einen Führerschein.«
Benito zeigt der Kellnerin wieder zwei Finger.
»Umso besser.« Er nimmt Venus’ Flasche und leert sie auf dieselbe Art. »Ich hab mal einen Film gesehen …«
»Du hast mein Bier getrunken!«
»Kriegst ein neues, Lady! Jedenfalls erlebt dieser Typ denselben Tag immer wieder, jahrelang. Der Wecker klingelt morgens um dieselbe Zeit, er tritt in dieselbe Pfütze, baggert dieselbe Frau an. Und dauernd muss er wieder bei null anfangen. So kommt mir das Leben in der Tempelkirche vor. Wie ein Scheißtag, der sich so lange wiederholt, bis man es kapiert hat.«
Zwei neue Flaschen kommen über den Tresen geschliddert.
Benito grunzt und leert eine weitere Flasche. »Am Anfang ist der Typ ein Arschloch. Er ist eitel, egoistisch, arrogant. Er findet alle anderen blöd und langweilig. Er sieht auf die anderen herab.«
Genau wie du, denkt Venus. Sie schnappt nach der Bierflasche, ehe Benito wieder schneller ist. Sie nippt. Das Bier ist eiskalt. Es schmeckt. Sie nimmt einen kräftigen Schluck. Ihre Kehle ist vereist wie eine Rutschbahnim Winter. Ihr Bauch wird innen tiefgekühlt. Dampf steigt auf in ihrem leeren Kopf und kondensiert.
Benito ordert bereits wieder. »Ich weiß noch, dass er sagt, er hätte mal einen Tag am Strand verbracht mit einem hübschen Mädchen, sie haben Hummer gegessen und nachher Sex gehabt, bei Sonnenuntergang, warum er denn nicht diesen Tag immer wieder erlebt, sondern den beschissenen Tag, an dem alles schief geht. Das kotzt ihn an. Der Ort. Das
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