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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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ist plötzlich selbst zum Einbrecher geworden. Mit der Waffe in der Hand steht er hinter einem betenden Mönch. Der Mönch ist ehrlich, der Mönch würde niemandem nachschleichen. Allein die Art, wie er dasitzt und brummt und brabbelt, lässt ihn so geradlinig und unbeirrbar erscheinen, dass sich Boone nicht nur körperlich klein fühlt, nein, er fühlt sich auch menschlich klein, winzig, erbärmlich, ein Verlierer, ein obdachloser Vorruheständler, ein Kleingeist im gestreiften Kmart-Pyjama, der bewaffnet in einer Kirche steht. Der Mönch lebt hier, weil er es will. Boone hat es hierher verschlagen wie ein Blatt im Wind. Der Mönch trägt die Glatze wie einen Heiligenschein, Boone versteckt seine unter quer geklebten Haarsträhnen. Der Mönch hat Enthaltsamkeit als Lebensform gewählt, beiBoone ist sie schlicht Mangel an Gelegenheit. Der Mönch hat das Fleisch besiegt, während Boones Fleisch einfach nur vergammelt.
    Beschämt schleicht er hinaus und hinauf und legt sich wieder ins Bett. Erstaunt müssen wir feststellen, dass der im Normalbetrieb so erfahrene Inspektor bedenkenlos über die wackelige suggestive Brücke von Gebet und Mönchstracht gegangen ist, barfuß, im gestreiften Pyjama, dass er sich hat blenden lassen vom äußeren Schein der Keuschheit und Entsagung. Er liegt mit seiner Einschätzung so falsch, dass uns seine Beurlaubung plötzlich berechtigt erscheint. Er ist gestrauchelt, sein unfehlbarer Instinkt, sein lebenslang trainierter logischer Verstand, er hat gelitten, sein gut genährtes Bullen-Ego. Daher scheint es uns nun unumgänglich, die Geschichte des Bliss Swami zu erzählen.
Bliss Swami
    Dexter Brown ist ein Findelkind. Er war kaum eine Woche alt, wog aber fast zwanzig Pfund, als ihn Mirabai und Ruben Brown auf der Schwelle ihres kleinen Hauses am Rand von Salt Lake City fanden. Seine Mutter, die brunhildengleiche 16-jährige norwegische Auswanderin Ingrid, hatte ihn in den Morgenstunden dort abgelegt. Nachdem sie von ihrem Großvater vergewaltigt und schwanger geworden war, hatte sie das Kind allein im Wald entbunden, hatte die Nabelschnur an einem Stein durchgescheuert und musste die Frucht ihrer Schande rasch loswerden.
    Mirabai, die Finderin, war eine in Amerika geborene Inderin, außerordentlich quirlig, klein und zierlich, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, eine Frau, dieeinst Träume hatte, die begraben wurden, als sie Ruben traf und heiratete. Ruben, dessen Familie aus dem Baltikum stammte, war herrschsüchtig, krummnasig und schwarzbärtig. Das kinderreiche Mormonenpaar nahm das tapsige bärenhafte Kind bei sich auf und gab es als ihr eigenes aus.
    Jedoch wuchs Dexter nahezu täglich, wie der Däumling aus dem Märchen, und strafte alle Mendelschen Gesetze Lügen. Er war groß, blond, blauäugig sowie extrem verlangsamt innerhalb der kleinen dunklen Familie, die immer in Bewegung war. Den größten Unterschied jedoch machte Dexters herrisches Kinn; die untere Gesichtspartie der Browns war kurz und weich. Dexter fühlte sich ungeliebt. Zu Recht. Es schien tatsächlich, als verübelten ihm die Eltern und Geschwister sein Anderssein. Er selbst verübelte es sich. Er konnte sich das nicht erklären. Er mutierte zum Bettnässer, Fingernägelkauer und Legastheniker.
    Bestraft wurde er mit Hausarrest, Stockschlägen auf die Fingerspitzen, In-der-Ecke-Stehen, Kellerknast sowie seinem Albtraum, dem Bibelmarathon. Beim Bibelmarathon musste er der restlichen Familie einen Tag lang aus der Bibel vorlesen. Stehend, ohne zu essen. Schwer zu sagen, für wen Dexters Gestammel quälender war, für ihn selbst oder den Rest der Familie. Der Hass der Geschwister auf ihn wuchs.
    Dexter wies eine große handwerkliche Begabung auf, die jedoch niemand förderte. Als auch erste Annäherungen ans weibliche Geschlecht niemand förderte, zuletzt das weibliche Geschlecht selbst, zeigte Dexter deutliche Tendenzen zu Onanie, Exhibitionismus und Spannerei. Seine Mormoneneltern waren angewidert und hielten es für angebracht, ihm mitzuteilen, dass er nicht Fleischvon ihrem Fleische sei. Er wandte sich in einer Mischung von Erleichterung und Wut – selbst in der Mormonenhauptstadt Salt Lake City schwer aufzutreibendem – Whisky zu und wechselte mit 16 zu LSD . Vermutlich hätte er sich umgebracht, hätte er von seiner gewaltsamen Zeugung, seiner inzestuösen Herkunft, den Umständen seiner Geburt und Aussetzung gewusst. Im Rausch brach er in einen Zeitschriftenladen ein und stahl alle Penthouse-Ausgaben.

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